Gonzosophie
7. Juli 2009
Dinge des Lebens
gonzosophie | 07. Juli 09 | Topic 'Marginalien'

Wenn sie sich fragen sollten, wieso hier mal wieder solch langanhaltende Stille eingekehrt ist, so seien Sie, werte Leser, beruhigt. Alles hat seinen Grund - bis auf das Fass, dass man Leben nennt. Mich beutelt's momentan an allen Fronten und dementsprechend gerät man als schon von Natur aus weinerlicher Gonzosoph schnell einmal ins Taumeln (Abb.1). Hinzu kommen dann auch noch reale Katastrophen, die einem selbst im sonst so vertrauten, heimischen Wohnraum drohen. Nun hat man mich des öfters gewarnt, mir werde irgendwann einmal die Decke auf den Kopf fallen (Abb.2), geglaubt habe ich das bis dato nicht. Dass jedoch meine Wohnsituation prekär ist, hat mir dieser Vorfall einprägsam gemacht und nun bin ich also auf der Suche nach einer neuen Behausung. Viel braucht man ja nicht zum Leben eines Gonzosophen, aber ein intaktes Habitat gehört nun einmal dazu. Keine Angst, sollten sie nicht wissen, was ein Habitat ist, liegen sie voll im Trend. Das nur am Rande. "Fakt ist:" Neben anderen, angenehmeren Verwicklungen zwingt mich meine ganz persönliche Finanzkrise (von der übrigens auch niemand weiß, ob sie jemals endet) weiterhin wohngemeinschaftlich zu leben. Wer mich kennt, kennt die Implikationen. Wer mich nicht kennt, sollte mich kennen lernen - sowieso. (Abb.3)
Außer solch vermeintlich tollen Sprüchen, fällt mir nicht mehr sonderlich viel ein. Mein sich sonst zumindest gelegentlich regendes Geistesleben ist unter der Hitze des hereinbrechenden Sommers und dem Staub einer einbrechenden Decke vollkommen zum Erliegen gekommen. Dabei trinke ich mehr Kaffee als jemals zuvor.



Wenn sie jetzt denken: "Oh Gott, nun fängt auch er noch an über seinen belanglosen Alltag zu schreiben", dann denken sie, was ich denke. Dies is auch einer der Gründe, warum sich die Gestaltung eines Artikels momentan eher schwierig darstellt. Ich tue es deshalb einfach den Bloggern gleich und fülle diesen Schrieb mit lauter Photos auf. Wer will in heutigen Zeiten eigentlich mit dem Prädikat "Blogger" unterschrieben werden? Viele vielleicht, aber bei denen ist ja laut Schiller - und da stimme ich ihm vollkommen zu - wohl kaum die Wahrheit zu finden. Sehen sie?



Wenn mir derartiges Sinnieren auch sehr gut zu Gesichte steht, es lässt sich damit kaum unter das heutige Pragmatismusideal schlüpfen. Jener Maxime folgend, sollte man vielleicht einfach den Arsch hoch kriegen, anstatt ihn seinen Lesern allforderst zu präsentieren (Abb.1)

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30. Juni 2009
Luxus
gonzosophie | 30. Juni 09 | Topic 'Marginalien'

Oft sitze ich an dem Fenster, in das am Morgen zu allererst die Sonne scheint und blinzle in das fade Licht der Straße. Ich muss nicht zu Bett. Ohne jede Aufgabe fängt der Tag erst gar nicht an. Manchmal schlafe ich von Sonnenauf- bis Untergang. Nur das Telefon stört bisweilen solche Ruhephase der absoluten Freiheit. Ja, frei bin ich wie ein fallender Stein. Ich habe mich befreit von allen Stolperstricken, die einem das Leben knüpft. Und da ich nun sogar die Liebe abgestreift habe, gibt es keine Angst mehr für mich. Ich sage euch: Das Leben fängt erst an, wenn man es nicht zu spüren braucht. Das ist der purste Luxus. Und nur zwei Finger breit entfernt vom Glück.


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15. Juni 2009
Neben bei
gonzosophie | 15. Juni 09 | Topic 'Marginalien'
Man taugt nicht viel dazu, sich gegenseitig Halt zu geben, wo man sich nicht einmal mehr selbst zu stützen weiß. So taumelt man vorbei aneinander. Stößt aufeinander, zufällig, am Kiosk oder vor dem Klo. Gibt sich nen kleinen Schups, wohin man glaubt zu müssen. Es geht voran, ab und an in Schlingerlinien einem wirren Zielpunkt zu. Manchmal auf allen Vieren. Ich ziehe dabei Schlieren auf Papier in tiefem Tintenschwarz. Meinen Mitmenschen als Rorschachtest. Doch bei mir gibt es auch falsche Antworten. Aber keine Angst, nicht mehr lang und ich zieh eh aus mir heraus. Das Haus ist längst gerüstet, wird bis aufs Mark entkernt. Man glaubt ja stets den Preis zu steigern, wenn man die Innenwerte erst entfernt. Derweil kratz ich mit Bleistift Linien in den Gasbeton, der unsrer Zukunft weichen soll. Ein bisschen kindisch muss man nun mal sein. Sonst lebt sich’s schwer, so ganz allein.

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19. April 2009
temporär
gonzosophie | 19. April 09 | Topic 'Marginalien'

Hass ist ein tragendes Gefühl. Ich hasse selten, selten länger als ein paar Stunden. Wenn ich hasse, dann meist spezifisch. Nicht Menschen sondern Eigenschaften, Verhalten. Es gab in meinem Leben kaum Personen, die ich in Gänze zu hassen in der Lage war. Aber es gab sie, an drei Fingern abzuzählen. Hass war dabei für mich immer etwas Reflexives. Niemals habe ich jemanden getroffen, den ich auf Anhieb hasste. Alle, die ich einmal hassen sollte, waren mir vorher sympathisch. Ich denke sogar, man muss mir erst recht nahe kommen, bevor ich so etwas Persönliches wie Hass entwickeln kann. Sonst reicht es höchstens zu Verachtung, mit der ich wenig sparsam bin. Auch Wut kommt auf. Aber Wut hält sich nicht auf Dauer. Hass vermag länger zu brennen. Legt sich in jeden Gedanken. Und er legt sich mit der Zeit, gänzlich. Oft denkt man im Nachhinein, was es denn diesen Menschen, diese Situation würdig machen würde, sie zu hassen. Dem hält wenig stand. Vieles löst sich in bloße Verachtung auf, die man mit einem Lächeln ausleben kann. Lachen wir zusammen darüber. Was bleibt uns übrig?

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10. April 2009
9.
gonzosophie | 10. April 09 | Topic 'Marginalien'

Ich trinke oft, in letzter Zeit. Wer mit mir trinken geht, kotzt sich am nächsten Morgen die Seele aus dem Leib. Ich kann sie alle nur dafür beneiden. In mir staut sich so viel dunkle Galle.
Bewerbung nicht abgeschickt, Nummer des Mädchens nicht angerufen. Ich tue nichts. Ich lege mich wieder schlafen. Langer Schlaf, immer länger wird er ohne jeden Willen aufzustehen. Nicht heute, nur heute nicht, nicht schon wieder.
Irgendwann einmal fügte sich mein Ich doch in sich; passte gut. Nun liegt bruchstückhaft vor mir, was sich nur noch zusammenkehren lässt. Scherben, Steine – nichts weiter. Mir fehlt sowohl das archäologische Geschick, als auch das historische Interesse, daraus noch etwas sinnvolles zu ziehen.
Bald jährt sich wieder die Auferstehung. Auch bei mir gab es derer manche. Man rappelt sich auf, nur um sich wieder zerstören zu lassen. Das ist wohl der Lauf der Dinge. Man wird alt dabei, nicht reif. Und schrecklich müde.

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27. Februar 2009
Kaltakquise
gonzosophie | 27. Februar 09 | Topic 'Marginalien'
Von jedem Arbeitsplatz hinaus zur Straße sind es nicht mehr als ein paar Fuß. Meist geben sie dir gar ein Fenster drauf und nennen das gesund nach ihrer Logik. Wie obszön ist das, sich seiner Zeit enteignen lassen, nur um dabei mit zu zählen. Was ist der Mensch, was soll er sein; was ist er wert? Klimper, Klimpergeld die Stunde. Dort sitzt du dann und um dich Hunderte, die keiner kennt, weil das nichts bringen würde. Würde.
So geht ein Tag und kommt genau so wieder. So kommt ein Jahr und geht vorbei. Wann endlich wirst du fertig sein und habhaft aller Dinge derer wegen du dein Leben hast verkauft? Was gibt es dann wohl noch zu tun für dich, worauf das Warten sich gelohnt?
Erde, Ruhe, Tage?

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16. Februar 2009
Halt
gonzosophie | 16. Februar 09 | Topic 'Marginalien'

Ein Mann zweifelhafter Gesinnung, aber unumstößlichen Rufes saß an einem Tresen und trank. Das tat er nicht sehr häufig, aber regelmäßig. Draußen auf der Straße stand ein Kind, es wickelte ein Bonbon aus Stanniolpapier aus und steckte es sich in den Mund. Dann ging es ein paar Schritte, um das Papier in einen Mülleimer zu werfen. „Das ist der Staat“, dachte der Mann. Hörbar schlürfte er den letzten Tropfen Filterkaffee aus der Tasse. Ihm gegenüber saß ein Pärchen, der Mann sehr grob. Schlag jemandem in die Fresse, dachte er, und sie lieben dich. Doch was Frauen lieben, darüber konnte er nur Mutmaßungen anstelllen. Was er besser wusste war, was sie nicht liebten: Gedichte, Briefe, damit gewinnt man keine Herzen. Er klappte seine Kladde zu. Mehr erreichte man seiner Meinung nach, führe man sie einfach mit einer Karre über den Haufen. Nur gut erklären musste man es können, anhand der Augen, mitunter. Sein Auto war kaputt, eine Frau war hinein gefahren. Allerdings nicht, um damit etwas bei ihm zu erreichen. Gestern saß er deswegen in einem Zug, am frühen Morgen völlig besoffen. Logos est quatsch, sometimes, hatte er da gedacht. Ein Abteil für uns allein, ein Rucksack voller Bier und die aufgehende Sonne. Dafür ist man nie zu alt, nie zu fertig. Er kramte in seinem Portemonnaie und fand einen kleinen Schein zwischen alten Kassenzetteln und Pfandbelegen. Manchmal fragte er sich, wie andere Leute persönliche Photos in ihrer Börse mit sich herumtragen konnten. Jetzt allerdings dachte er nicht daran.

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26. Januar 2009
In Memoriam
gonzosophie | 26. Januar 09 | Topic 'Marginalien'

Saßt du nicht da und hast heiße Tränen geweint, in der Nacht, als sie noch unser war? Tu nicht so als hätte das Licht deine Augen geklärt, du siehst genauso so schlecht wie ich. Aber du gefällst dir besser dabei. Gerades Rückgrat, Brust raus, Fahrradfahren für die Figur. Ethisch korrekte Produktauswahl. So bleibt man in Bewegung. Setzt sich nicht ab, am/vom Boden der Gesellschaft. Mit Respektlosigkeit konnte ich noch nie umgehen. Worst case ist die Verachtung, die sich selbst nicht wahr haben will. Da sitzt du nun, auf deinem hohen Drahtesel und fühlst dich nicht mal lächerlich. Millionen Fliegen können nicht irren, waren deine Worte. Der Flug ist längst gebucht, Postkartenstrände. Nicht mehr als 3 Zeilen wert. Aber herzeigbar, Marke drauf und Neid erzeugen. Wen kann man mit mir bloß neidisch machen? Wachsen mir schon Rückenhaare? Du hast Recht, auf die meisten Fragen will man gar keine Antworten. Vor allem keine ehrlichen. Nur eine habe ich an dich: Wenn du mit 17 gewusst hättest, wer du einmal sein wirst, wäre es dann in Punkto Suizid nur beim Versuch geblieben? Ich weiß, das ist dir heute nicht mehr wichtig. Mir aber, zum Schluss.

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12. Januar 2009
Jenner
gonzosophie | 12. Januar 09 | Topic 'Marginalien'
Und das neue Jahr geht dir erst wieder auf, als du es in den Todesanzeigen liest. Du bist unter deinesgleichen, unter Freunden – so sagen sie. Was das heute noch heißen mag steht auf einem anderen Blatt. Reziproke Nutzungsverhältnisse herrschen vor. Esprit wird nach außen getragen, Karierung. Nicht Ziehung, Beziehung. Ich hörte, mit Sonntagen habe das etwas zu tun. Entschuldige, hätte ich keine Blähungen, dann würden wir sicher etwas unternehmen, miteinander.

Da stehen Zwei innerhalb von vier Pfosten und schlagen sich ins Gesicht. Das Blut spritzt nicht, es platzt von der Stirn, von den Wangen. Tänzeln und Stampfen. Es gibt Regeln, ja, es gibt Technik auch hier. All das ist Kunst und Musik.

Ich sehe zu, sehe mir all das an. Dieses Verhalten zueinander, zu mir. Mein Sein in Bezug. Papier in nervösen Händen. Seit Monaten habe ich keine Zeile mehr erhalten von dir, Jahre werden daraus und ich alt dabei. Langsam ringeln sich falten auf meiner Haut grau sprießender Haare. Aus einem Ansatz wird Bauch, auch.

Haben sie sich so eine Beerdigung schon einmal angesehen? Da stehen sie alle aufgereiht und klatschen einander ab, beim kondolieren. Hinten an einem Seitentisch trinken die Sargträger und Totengräber bereits den ersten Schnaps nach getaner Arbeit. Wer will ihnen das streitig machen. Wer würde sich nicht betrinken wollen an diesen langen Tischen mit notdürftigen Gesichtern.

Mein Leben ist nicht episodenhaft, keine narratives Ganzes. Es liegt hinter mir als eine schiere Masse umgeformter Gedanken und loser Reime. Jetzt ist nicht Fluchtpunkt. Ordnung bringe ich in dieses Ding keine mehr hinein.

Schreiben hat nichts mit Genuis zu tun, mit Inspiration schon gar nicht. Glauben Sie Novalis wäre ein fauler Mensch gewesen, müßig durch die Wälder schweifend, ein bloßer Getriebener in dem Stollen des Wahns? Jede Hymne ist eine Fleißarbeit, ihre Strophen sind pure Arbeit. Aus einem hohlen Block Papier schneidet man in Stunden und Wochen ein Werk.

Auch Ich hielt mich für etwas besseres, beseelt von den Musen eh ich erkannte, dass Kalliope und selbst Euterpe höchstens halbtags arbeiten. Vielleicht sind sie auch nur gerade in Mutterschutz. Ich für meinen Teil setze mich nun jeden Tag eine Stunde hin. Hier. Ein Stuhl, ein Tisch, ein Stift. Komme, was wolle.

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30. September 2008
flirt
gonzosophie | 30. September 08 | Topic 'Marginalien'
Ich saß wieder im Zug, war unterwegs, wohin auch immer. Plötzlich setzt sich dieses Mädchen vor mich hin, entgegen der Fahrtrichtung. Gedankenversunken habe ich es gar nicht kommen sehen. Seltsam aufdringlich sieht sie mich an, fast schon obszön. Dabei kann ich nicht umhin ihre Verachtung zu sehen für das Außen, wie sehr sie über allem steht. Fesselnd.
Ich kram in meiner Tasche nach einem Tape, bin mir sicher es eingepackt zu haben. „Scheiß drauf“ war es betitelt. Ich kann es nicht finden und du sagst mir, du würdest es sowieso nicht haben wollen. Drückst mir einen zerknitterten Zettel in die Hand, stattdessen. Darauf steht ein Gedicht: „Das Leben ist/ nur ein Traum/ manchmal wünsche ich mir/ vom Leben zu träumen.“ Seltsam bekannt klingt das, als wäre es von mir. Dann stoppt unser Zug. Irgendwo im Nirgendwo, an einem kleinen Bahnhof ist Endstation. Die Oberleitungen sind vereist, die Geleise unpassierbar. Wir müssen warten. Du sitzt an einer Säule ohne jegliches Gepäck. Plötzlich funkt es. Wir sehen nach dem Fahrplan, doch es gibt keinen. Niemand scheint zu wissen was passieren wird. Auch ich habe kein Gepäck mehr, irgendwo ließ ich es stehen. In die Bahnhofskneipe lassen sie uns nicht hinein. Du stellst dich albern an und ich seh von Außen auch nicht anders aus, als ich mich innen sehe: Drei Tage Bart, usseliges Haar – passend, wie ich finde. Dir kommt das alles seltsam vor, erinnert dich an das Gedicht. Doch ich kann dich beruhigen, streich über dein tiefschwarzes Haar. Du schlägst vor, von nun an Banken auszurauben. Ein Wahnsinn, denn in diesem Kaff gibt es nicht eine einzige.
Ein Zug fährt ein. Du gibst mir ein weiteres Gedicht, dessen Sinn ich gleich erkenne. Deinen Blick versteh ich jedoch nicht, denn traurig siehst du mich an, während ich es lese. Es beginnt mit den Worten „Teil meines Lebens“, doch je mehr ich mich konzentriere, je wirrer werden die Buchstaben, die Sätze. Sie formen sich zu Gedanken. Plötzlich sehe ich nichts mehr, beginne meine Hände zu spüren, die nichts halten. Schmecke abgestandne Luft um mich herum. Du bist nichtmal ein Schatten mehr. Ich wache auf, ganz langsam, widerwillig, suizidal enttäuscht.

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