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Raser
gonzosophie | 24. Januar 08 | Topic 'Marginalien'
Der Bahnhof ist ein Hort der Raserei. Was? Nein, nicht der Reiserei, die kommt in heutigen Tagen ja immer wieder gänzlich zum Erliegen. Sollte man von der überteuert verwalteten Bundesbahn a.d. dennoch einmal vertransportiert werden, so führt dies vor allem zu Hektik. Wahnsinn ist oft nicht weit davon entfernt, hat aber nichts mit Geschwindigkeit zu tun, im Gegenteil. Gerade dadurch macht die Bahn rasend.
Nehmen sie mich z.b., einen durchaus friedlichen Menschen, dem das „kurz vor knapp“ sein jedoch zur Angewohnheit gediehen ist. Dies liegt nicht etwa an einer Abneigung gegenüber sinnentleerter Wartezeit, keinesfalls! Die besten Gedanken kommen dem unfreiwillig aus der Hektik aber nicht aus dem Problemrahmen genommenen Menschen. Zeit zur Reflexion, Prozesse zu überdenken und zu korrigieren. Ich würde soweit gehen sogar die Aufklärung als Produkt eines zu langen Aufenthalts im Wartezimmer seiner Exzellenz zu deuten. Revolutionen werden in der allzu langen Schlange vor der Bäckerei geboren!
Also: Die Geschichte gibt mir Recht. Die Bahn lässt auf sich warten und die Menschen werden revolutionär. Leider äußert sich die vox populi in Deutschland bestenfalls in einem seufzerbegleiteten „… Das kann doch nicht wahr sein …“ – der Gipfel hiesiger Raserei.
Was mich jedoch aufregt ist weder die Bahn noch deutsche Bürgertreue - ich bin es selbst. Wieso habe ich mich eben so beeilt diesen Zug zu erreichen? Es gibt nichts, dass Anmut und Ehrwürdigkeit kruder entgegensteht als Eile. Wer Zügen oder gar Bussen hinterher rennt erzeugt vor allem Mitleid, man ist peinlich berührt von dieser Selbsterniedrigung. Hat man jemals eine noch so popelige Durchlaucht seiner Kutsche nachlaufen sehen? Pünktlichkeit ist keine Herrschertugend. Von Zeitpunkten unabhängig zu sein, von dem Erreichen eines bestimmten Busses, das ist das Privileg der Könige sowie der Penner und es ist mein Privileg. Jedenfalls nehme ich es mir heraus. Das mag man mir verzeihen.
So jedenfalls gilt es für mich beim eiligen Schreiten, welches Zielstrebigkeit und Entschlossenheit ausstrahlt, nie den schmalen Grat zum gehetzten Laufen hin zu, ja, überschreiten. Dass ein Fuß immer in Kontakt mit Mutter Erde bleiben muss bleibt ein grober Merksatz der Gravität.
Man steht nun jedenfalls da, erröteten Hauptes, und schaut von der Anzeigetafel mit ihren längst überlebten, aber aufgrund des erhöhten Spannungsbogen noch immer aktuellen, Klappbuchstaben hin zu den leidvoll bis mitleidvoll dreinblickenden potentiell Mitreisenden. „5 Minuten Verspätung“ – Das darf doch nicht wahr sein!
Nicht das ich gerannt wäre, aber ich war beinahe soweit. Schließlich musste ich mir noch schnell irgendein Schreibgerät in der Bahnhofsbuchhandlung kaufen. Nun sollte man meinen, ein Geschäft mir einer ganzen Wand von Kreuzworträtselmagazinen verkaufe sinnigerweise auch Bleistifte. Sollte man zu Recht, doch verkaufen sie diese unangespitzt. Wann haben sie das letzte Mal jemanden im Zug einen Bleistift anspitzen sehen? Fragen sie sich mal warum.
Ich war nun also gezwungen mir für einen satten Euro einen Kugelschreiber zu kaufen – Richtig, gezwungen! Wie jeder Buchhandlungsfritze wissen sollte ist es nämlich gänzlich unsinnig, ja mir sogar unmöglich ein Buch zu lesen ohne irgendeine Möglichkeit der Anmerkung, der Interaktion zu haben. Sie mögen nun etwas einwenden von der frevelhaften Schändung jungfräulicher Seiten, von der Zerstörung intendierter Präsentationswirkung, der Werkoriginalität – geschenkt. Es mag Menschen geben, die mit ihren Büchern nicht interagieren, arbeiten, sondern sie einfach durchlesen. Die rangieren jedoch irgendwo zwischen denen, die Bussen hinterher rennen und solchen, deren Kinder zum Vorschulyoga gehen. Sie sind mir vor allem deshalb zuwider, weil sie mich offenbar seit frühester Kindheit indoktriniert haben. Erfolgreich. Ich kann nichts in Büchern hinterlassen, dass sich nicht wieder ausradieren ließe. Dabei habe ich noch nie, ich wiederhole: Noch nie habe ich meine Unterstreichungen und Anmerkungen wieder ausradiert, selbst aus geliehenen Büchern. Mein Gewissen verlangt jedoch dass ich es könnte. Ein viel beobachteter Prozess, so erbärmlich ist der Mensch, bin ich, dann doch.
Nun sitze ich also im Zug und kann nicht lesen oder mich andersartig beruhigen. Nicht nur der Bahnhof, die Bahn ist ein Hort der Raserei – in Gedanken. Mir bleibt nichts anderes übrig als sie mittels meines einzigen Utensils zu bannen. Auf Papier. A votre santé!
Nehmen sie mich z.b., einen durchaus friedlichen Menschen, dem das „kurz vor knapp“ sein jedoch zur Angewohnheit gediehen ist. Dies liegt nicht etwa an einer Abneigung gegenüber sinnentleerter Wartezeit, keinesfalls! Die besten Gedanken kommen dem unfreiwillig aus der Hektik aber nicht aus dem Problemrahmen genommenen Menschen. Zeit zur Reflexion, Prozesse zu überdenken und zu korrigieren. Ich würde soweit gehen sogar die Aufklärung als Produkt eines zu langen Aufenthalts im Wartezimmer seiner Exzellenz zu deuten. Revolutionen werden in der allzu langen Schlange vor der Bäckerei geboren!
Also: Die Geschichte gibt mir Recht. Die Bahn lässt auf sich warten und die Menschen werden revolutionär. Leider äußert sich die vox populi in Deutschland bestenfalls in einem seufzerbegleiteten „… Das kann doch nicht wahr sein …“ – der Gipfel hiesiger Raserei.
Was mich jedoch aufregt ist weder die Bahn noch deutsche Bürgertreue - ich bin es selbst. Wieso habe ich mich eben so beeilt diesen Zug zu erreichen? Es gibt nichts, dass Anmut und Ehrwürdigkeit kruder entgegensteht als Eile. Wer Zügen oder gar Bussen hinterher rennt erzeugt vor allem Mitleid, man ist peinlich berührt von dieser Selbsterniedrigung. Hat man jemals eine noch so popelige Durchlaucht seiner Kutsche nachlaufen sehen? Pünktlichkeit ist keine Herrschertugend. Von Zeitpunkten unabhängig zu sein, von dem Erreichen eines bestimmten Busses, das ist das Privileg der Könige sowie der Penner und es ist mein Privileg. Jedenfalls nehme ich es mir heraus. Das mag man mir verzeihen.
So jedenfalls gilt es für mich beim eiligen Schreiten, welches Zielstrebigkeit und Entschlossenheit ausstrahlt, nie den schmalen Grat zum gehetzten Laufen hin zu, ja, überschreiten. Dass ein Fuß immer in Kontakt mit Mutter Erde bleiben muss bleibt ein grober Merksatz der Gravität.
Man steht nun jedenfalls da, erröteten Hauptes, und schaut von der Anzeigetafel mit ihren längst überlebten, aber aufgrund des erhöhten Spannungsbogen noch immer aktuellen, Klappbuchstaben hin zu den leidvoll bis mitleidvoll dreinblickenden potentiell Mitreisenden. „5 Minuten Verspätung“ – Das darf doch nicht wahr sein!
Nicht das ich gerannt wäre, aber ich war beinahe soweit. Schließlich musste ich mir noch schnell irgendein Schreibgerät in der Bahnhofsbuchhandlung kaufen. Nun sollte man meinen, ein Geschäft mir einer ganzen Wand von Kreuzworträtselmagazinen verkaufe sinnigerweise auch Bleistifte. Sollte man zu Recht, doch verkaufen sie diese unangespitzt. Wann haben sie das letzte Mal jemanden im Zug einen Bleistift anspitzen sehen? Fragen sie sich mal warum.
Ich war nun also gezwungen mir für einen satten Euro einen Kugelschreiber zu kaufen – Richtig, gezwungen! Wie jeder Buchhandlungsfritze wissen sollte ist es nämlich gänzlich unsinnig, ja mir sogar unmöglich ein Buch zu lesen ohne irgendeine Möglichkeit der Anmerkung, der Interaktion zu haben. Sie mögen nun etwas einwenden von der frevelhaften Schändung jungfräulicher Seiten, von der Zerstörung intendierter Präsentationswirkung, der Werkoriginalität – geschenkt. Es mag Menschen geben, die mit ihren Büchern nicht interagieren, arbeiten, sondern sie einfach durchlesen. Die rangieren jedoch irgendwo zwischen denen, die Bussen hinterher rennen und solchen, deren Kinder zum Vorschulyoga gehen. Sie sind mir vor allem deshalb zuwider, weil sie mich offenbar seit frühester Kindheit indoktriniert haben. Erfolgreich. Ich kann nichts in Büchern hinterlassen, dass sich nicht wieder ausradieren ließe. Dabei habe ich noch nie, ich wiederhole: Noch nie habe ich meine Unterstreichungen und Anmerkungen wieder ausradiert, selbst aus geliehenen Büchern. Mein Gewissen verlangt jedoch dass ich es könnte. Ein viel beobachteter Prozess, so erbärmlich ist der Mensch, bin ich, dann doch.
Nun sitze ich also im Zug und kann nicht lesen oder mich andersartig beruhigen. Nicht nur der Bahnhof, die Bahn ist ein Hort der Raserei – in Gedanken. Mir bleibt nichts anderes übrig als sie mittels meines einzigen Utensils zu bannen. Auf Papier. A votre santé!
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