Kompensationen (Vorsicht Prosa)
gonzosophie | 30. Mai 08 | Topic 'Minima Memoralia'
Ob Schriften die Welt verändern können ist eine Frage, über die bereits viel geschrieben worden ist, ohne dass sich eine eindeutige Antwort hätte finden lassen.
Für die einen kann das rechte Wort, die richtige Geschichte das Denken der Lesenden so beeinflussen, dass sie hernach selbst die rechten Worte sprechen und ihre Geschichte zum besseren wenden werden. Für die anderen haben Worte nicht einmal flüchtigen Einfluss. Verzögert ihre Verschriftlichung auch das Vergessen, so verhindert es niemals nur eine einzige schlechte Tat, verbessert nicht einen der Umstände, gegen die es Anklage erhebt.
Beide Positionen haben treffende Argumente und gehen doch fehl. Sieht man sich die Geschichte des Rechtes an, so wird man eines leicht feststellen: Gesetze gegen das Schlechte werden es nie völlig aus der Welt schaffen. Verbietet man aber das Gute, hält sich der Mensch daran. Nie wird ein moralisches Buch einen unmoralischen Menschen zu verantwortlichem Handeln anleiten. Ein unmoralisches aber bestärkt seinen Relativismus. Das pessimistische Buch vermag den Idealisten nicht zu desillusionieren, dagegen schläfert ihn das utopische weiter ein. Zum Handeln bedarf man keiner Worte, nur um sich zu rechtfertigen bemüht man sie. Um dieses Warum sind Jahrtausende verschriftlichter Kultur entstanden. So dient uns die Schrift in erster Linie dazu, Schlechtes gut zu begründen und das Gute in die Träumerische Perspektive zu setzen; Licht wartet am Ende des Tunnels. Letztlich trennt auch die Utopie säuberlich zwischen dem Sein und dem Sollen. Das Gute verklärt sie dabei als etwas, das es geben könnte, auch wenn nicht hier, nicht jetzt. Utopien zementieren die Realität, welche sie scheinbar überwinden wollen. Sie dienen den Menschen auch als Kompensation im Traume, da ihnen im Wachen vieles nicht gefallen kann. Deshalb lässt sich die Frage beantworten: Ja, das Wort verändert die Welt in der wir leben – aber sicher nicht zum Guten.
Warum also noch diesen Acker bestellen, auf dem Menschen ihre kruden Ausflüchte und Entschuldigungen kultivieren? Sollte man nicht besser verstummen? Tatsächlich kann Rebellion heute schon heißen, nichts zu sagen. Doch das reine Handeln stößt ebenso schnell an Grenzen. Im Falschen wird das Richtige sanktioniert. Unendlich frustrierend muss das moralische Handeln erscheinen, wird doch für jede schlechte Tat ein gutes Gewissen angeboten - anders herum gilt es übrigens genauso.
„In einem Zustand des üblen Spukes und des Betruges wird der Gedanke rein dadurch gefährlich, daß er richtig ist, und Geister, die das rechte Maß besitzen, wirken wie ein Spiegel, in denen sich die Nichtigkeit der Schattenwelt enthüllt. Ein logischer Gedanke, ein reines Metron, eine edle Tat, ja selbst die Nichtbeteiligung am Niedrigen – das sind heute Dinge, die sich erheben wie drohende Waffen, die um so schärfer wirken, je weniger man sich auf die Zeit bezieht.“ (Ernst Jünger, Briefe)
Was lässt sich also tun, wenn Tun allein zu gar nichts führt? Man kommt ohne das Schreiben nicht aus. Und letztlich soll es doch zum Besseren uns führen können. Wie nun aber, wenn wir den anfänglichen Schlüssen folgen mögen? Sein Ziel muss sein, Ausflüchte und Rechtfertigung zu destruieren ohne dadurch selbst Ausflucht zu werden oder Rechtfertigung. Es darf deshalb die Gegenwart weder transzendieren noch relativieren. Ein nahezu wahnwitziges Unternehmen, wo Zerstörung doch immer relativiert, dass Dasein überschreiten muss. Gleichzeitig darf es nicht in einen faktischen Realismus verfallen, einen Pragmatismus, der alles nur durch sein bloßes Dasein legitimiert.
Wie ist dies im Falle der Utopie möglich? Die meisten Menschen bewahren sich utopische Perspektiven als „eigentlich müsste man ja mal“-Alternativen, die alle Fehlfunktionen ihres Alltages relativieren sollen. Die innere Opposition dient als Rechtfertigung des opportunistischen Handelns. Solange man sich versichern kann, das Schlechte als schlecht zu empfinden und zu wissen, was dagegen das Gute wäre, solange führt man das eigene schlechte Handeln nicht auf sich selbst zurück. Man kann es mit gutem Gewissen ausführen, denn es ist „ja eigentlich“ nicht in einem selbst begründet. Es liegt an den Umständen, die einen zwingen.
Auch vertrösten sich viele Menschen mit Utopien. Das Jetzt mag zwar den Wünschen und Absichten widersprechen, aber man könnte es „ja eigentlich“ auch mal ganz anders versuchen – mit Buddhismus etwa, vielleicht straight-edge, einfach aussteigen oder endlich mal irgendwo voll und ganz einsteigen. Auch diese Gegenentwürfe festigen letztlich nur die Befangenheit in den gegebenen Umständen. Wo sie nicht zur inneren (oder äußeren) Emigration führen, da dienen sie als kognitive Kompensation des Anstoßes. Wenn man glaubt, irgendwo einen Notausgang gesehen zu haben, fühlt man sich nicht in der Falle. Letztendlich bleibt aber eine Option, die man nicht nutzt, nur eine Option, die man nicht hat. Dieses jedoch zu erkennen fällt schwer, schwerer noch es sich erklären zu lassen. Man gibt den Unterbau des eigenen Selbstbildes ungern dem Zweifel preis.
Wie nun soll man gegen diese verbreiteten Utopien vorgehen? Indem man sie realisiert. Der Wunschtraum als kognitiver Ausweg aus der Misere macht das Unerträgliche zwar oft erträglich, bei seiner Verwirklichung aber zeigt sich in den meisten Fällen schnell, wie unerträglich die eigenen Wünsche sind. In letzter Konsequenz durchdacht entpuppen sich Utopien als unserem Alltagsverständnis so fremd, dass sie zur Dystopie werden. Nicht selten stürzt ein Mensch, der sich wirklich vornimmt eine Utopie zu leben und doch an ihrer Ausführung scheitert von einem Traumbild ins nächste, einem Süchtigen gleich, der sich eine Droge durch die andere entzieht. In abgeschwächter Form zeigt sich diese Entwicklung an Menschen, die diese gewisse Leere in ihrem Leben abwechselnd durch jeweils aktuelle Sinntrends zu füllen suchen. Die kompensatorische Struktur bleibt sich gleich, während der Inhalt austauschbar ist – ein Prozess, der dem steten Wechsel der paradigmatischen Ideologien ähnlich ist. Das macht die strukturelle Utopie auch nahezu unangreifbar. Es reicht nicht aus, einzelne Utopien zu destruieren, man muss die kompensatorische Struktur selbst entlarven. Und dazu muss man sie realisieren. Dies ist exemplarisch auch durch Wort und Schrift möglich. Nur stellt sich die Frage, ob Schriften etwas an der strukturellen Kompensation durch Utopien ändern können.
Sollte man die Frage verneinen, hätte man wiederum eine wunderbare Rechtfertigung, es nicht zu versuchen. Doch auch wenn es uns heute absonderlich vorkommt, sollte man vielleicht nicht immer und ausschließlich nach dem Warum des Handelns fragen. Mir erscheint eine positive Beantwortung der Frage nicht einmal zwingend, um es trotzdem zu versuchen. Denn obschon man dazu neigt, sich selbst als zweckbestimmtes Wesen zu betrachten, würde ich doch neben die Frage nach dem Warum oder Wozu auch das Wie nicht gänzlich außer Acht lassen wollen. Fragt man sich, wie Es, wie man selbst sein soll, so tendiert man vielleicht doch eher dazu, dem eigenen Wort und seiner Kraft Vertrauen zu schenken, dass es das bloße Warum einmal zu überschreiten und die ewigen Rechtfertigungsstrukturen zu durchbrechen im Stande ist. Dann entstünde eine zweckfreie Schrift, auf die sich keinerlei Entschuldigung stützen könnte. Klingt wiederum verdächtig utopisch, weshalb man es wohl besser lässt.
Für die einen kann das rechte Wort, die richtige Geschichte das Denken der Lesenden so beeinflussen, dass sie hernach selbst die rechten Worte sprechen und ihre Geschichte zum besseren wenden werden. Für die anderen haben Worte nicht einmal flüchtigen Einfluss. Verzögert ihre Verschriftlichung auch das Vergessen, so verhindert es niemals nur eine einzige schlechte Tat, verbessert nicht einen der Umstände, gegen die es Anklage erhebt.
Beide Positionen haben treffende Argumente und gehen doch fehl. Sieht man sich die Geschichte des Rechtes an, so wird man eines leicht feststellen: Gesetze gegen das Schlechte werden es nie völlig aus der Welt schaffen. Verbietet man aber das Gute, hält sich der Mensch daran. Nie wird ein moralisches Buch einen unmoralischen Menschen zu verantwortlichem Handeln anleiten. Ein unmoralisches aber bestärkt seinen Relativismus. Das pessimistische Buch vermag den Idealisten nicht zu desillusionieren, dagegen schläfert ihn das utopische weiter ein. Zum Handeln bedarf man keiner Worte, nur um sich zu rechtfertigen bemüht man sie. Um dieses Warum sind Jahrtausende verschriftlichter Kultur entstanden. So dient uns die Schrift in erster Linie dazu, Schlechtes gut zu begründen und das Gute in die Träumerische Perspektive zu setzen; Licht wartet am Ende des Tunnels. Letztlich trennt auch die Utopie säuberlich zwischen dem Sein und dem Sollen. Das Gute verklärt sie dabei als etwas, das es geben könnte, auch wenn nicht hier, nicht jetzt. Utopien zementieren die Realität, welche sie scheinbar überwinden wollen. Sie dienen den Menschen auch als Kompensation im Traume, da ihnen im Wachen vieles nicht gefallen kann. Deshalb lässt sich die Frage beantworten: Ja, das Wort verändert die Welt in der wir leben – aber sicher nicht zum Guten.
Warum also noch diesen Acker bestellen, auf dem Menschen ihre kruden Ausflüchte und Entschuldigungen kultivieren? Sollte man nicht besser verstummen? Tatsächlich kann Rebellion heute schon heißen, nichts zu sagen. Doch das reine Handeln stößt ebenso schnell an Grenzen. Im Falschen wird das Richtige sanktioniert. Unendlich frustrierend muss das moralische Handeln erscheinen, wird doch für jede schlechte Tat ein gutes Gewissen angeboten - anders herum gilt es übrigens genauso.
„In einem Zustand des üblen Spukes und des Betruges wird der Gedanke rein dadurch gefährlich, daß er richtig ist, und Geister, die das rechte Maß besitzen, wirken wie ein Spiegel, in denen sich die Nichtigkeit der Schattenwelt enthüllt. Ein logischer Gedanke, ein reines Metron, eine edle Tat, ja selbst die Nichtbeteiligung am Niedrigen – das sind heute Dinge, die sich erheben wie drohende Waffen, die um so schärfer wirken, je weniger man sich auf die Zeit bezieht.“ (Ernst Jünger, Briefe)
Was lässt sich also tun, wenn Tun allein zu gar nichts führt? Man kommt ohne das Schreiben nicht aus. Und letztlich soll es doch zum Besseren uns führen können. Wie nun aber, wenn wir den anfänglichen Schlüssen folgen mögen? Sein Ziel muss sein, Ausflüchte und Rechtfertigung zu destruieren ohne dadurch selbst Ausflucht zu werden oder Rechtfertigung. Es darf deshalb die Gegenwart weder transzendieren noch relativieren. Ein nahezu wahnwitziges Unternehmen, wo Zerstörung doch immer relativiert, dass Dasein überschreiten muss. Gleichzeitig darf es nicht in einen faktischen Realismus verfallen, einen Pragmatismus, der alles nur durch sein bloßes Dasein legitimiert.
Wie ist dies im Falle der Utopie möglich? Die meisten Menschen bewahren sich utopische Perspektiven als „eigentlich müsste man ja mal“-Alternativen, die alle Fehlfunktionen ihres Alltages relativieren sollen. Die innere Opposition dient als Rechtfertigung des opportunistischen Handelns. Solange man sich versichern kann, das Schlechte als schlecht zu empfinden und zu wissen, was dagegen das Gute wäre, solange führt man das eigene schlechte Handeln nicht auf sich selbst zurück. Man kann es mit gutem Gewissen ausführen, denn es ist „ja eigentlich“ nicht in einem selbst begründet. Es liegt an den Umständen, die einen zwingen.
Auch vertrösten sich viele Menschen mit Utopien. Das Jetzt mag zwar den Wünschen und Absichten widersprechen, aber man könnte es „ja eigentlich“ auch mal ganz anders versuchen – mit Buddhismus etwa, vielleicht straight-edge, einfach aussteigen oder endlich mal irgendwo voll und ganz einsteigen. Auch diese Gegenentwürfe festigen letztlich nur die Befangenheit in den gegebenen Umständen. Wo sie nicht zur inneren (oder äußeren) Emigration führen, da dienen sie als kognitive Kompensation des Anstoßes. Wenn man glaubt, irgendwo einen Notausgang gesehen zu haben, fühlt man sich nicht in der Falle. Letztendlich bleibt aber eine Option, die man nicht nutzt, nur eine Option, die man nicht hat. Dieses jedoch zu erkennen fällt schwer, schwerer noch es sich erklären zu lassen. Man gibt den Unterbau des eigenen Selbstbildes ungern dem Zweifel preis.
Wie nun soll man gegen diese verbreiteten Utopien vorgehen? Indem man sie realisiert. Der Wunschtraum als kognitiver Ausweg aus der Misere macht das Unerträgliche zwar oft erträglich, bei seiner Verwirklichung aber zeigt sich in den meisten Fällen schnell, wie unerträglich die eigenen Wünsche sind. In letzter Konsequenz durchdacht entpuppen sich Utopien als unserem Alltagsverständnis so fremd, dass sie zur Dystopie werden. Nicht selten stürzt ein Mensch, der sich wirklich vornimmt eine Utopie zu leben und doch an ihrer Ausführung scheitert von einem Traumbild ins nächste, einem Süchtigen gleich, der sich eine Droge durch die andere entzieht. In abgeschwächter Form zeigt sich diese Entwicklung an Menschen, die diese gewisse Leere in ihrem Leben abwechselnd durch jeweils aktuelle Sinntrends zu füllen suchen. Die kompensatorische Struktur bleibt sich gleich, während der Inhalt austauschbar ist – ein Prozess, der dem steten Wechsel der paradigmatischen Ideologien ähnlich ist. Das macht die strukturelle Utopie auch nahezu unangreifbar. Es reicht nicht aus, einzelne Utopien zu destruieren, man muss die kompensatorische Struktur selbst entlarven. Und dazu muss man sie realisieren. Dies ist exemplarisch auch durch Wort und Schrift möglich. Nur stellt sich die Frage, ob Schriften etwas an der strukturellen Kompensation durch Utopien ändern können.
Sollte man die Frage verneinen, hätte man wiederum eine wunderbare Rechtfertigung, es nicht zu versuchen. Doch auch wenn es uns heute absonderlich vorkommt, sollte man vielleicht nicht immer und ausschließlich nach dem Warum des Handelns fragen. Mir erscheint eine positive Beantwortung der Frage nicht einmal zwingend, um es trotzdem zu versuchen. Denn obschon man dazu neigt, sich selbst als zweckbestimmtes Wesen zu betrachten, würde ich doch neben die Frage nach dem Warum oder Wozu auch das Wie nicht gänzlich außer Acht lassen wollen. Fragt man sich, wie Es, wie man selbst sein soll, so tendiert man vielleicht doch eher dazu, dem eigenen Wort und seiner Kraft Vertrauen zu schenken, dass es das bloße Warum einmal zu überschreiten und die ewigen Rechtfertigungsstrukturen zu durchbrechen im Stande ist. Dann entstünde eine zweckfreie Schrift, auf die sich keinerlei Entschuldigung stützen könnte. Klingt wiederum verdächtig utopisch, weshalb man es wohl besser lässt.
Einheitliche Feldtheorie
gonzosophie | 15. Mai 08 | Topic 'Minima Memoralia'
Die Postmoderne gab sich dogmatischer als das Hochmittelalter. Wie dort alles aus einem Absoluten abgeleitet wurde, so hier dogmatisch jedes Absolute als Bezug verleumdet. Man betrachtete Religion ohne Gott, Wissenschaft ohne Wahrheit, Gesellschaft ohne Menschen, Literatur ohne Autor und Geschichte ohne Sinn. Diese Sichtweise ist deshalb so effektiv, da sie Alles seiner strukturellen Komponente beraubt und völlig beliebig macht Eben das ist die letzte Vorraussetzung auch Denken und Wissen beliebig zu machen und nun vollständig nach Nützlichkeit definieren zu können. Sätze, Vorstellungen werden angewandt oder verworfen je nachdem, ob sie in fraglichem Kontext für die beabsichtigte Intention Erklärungspotential besitzen oder erforderlich machen. Das klingt zwar nach Ockhams „Rasiermesser“ und damit nach wissenschaftlicher Methode schlechthin, doch ist das Jetzt ebenso dogmatisch wie die Postmoderne. Einzig wurde das Dogma des relativierenden Zweifels verworfen und durch das Dogma der Zweckdienlichkeit ersetzt. Wahr und Falsch sind dabei Konstruktionen, die nur in gewissen Kontexten eine Nützlichkeit besitzen. Deshalb tritt etwa der Satz vom ausgeschlossenen Widerspruch in den Hintergrund, machte er doch viele der gängigen Erklärungskonglomerate unmöglich. Er erklärt nichts, nützt damit niemandem. Letztlich darf nunmehr alles mit allem im Widerspruch stehen, solange es nicht der Nützlichkeit widerspricht. Ein Vorgang, der nicht nur in den Wissenschaften zu beobachten ist und mit einer logischen, wissenschaftlichen Methode nur noch sehr wenig zu tun hat. Im Wissenschaftsbetrieb - eine sehr schöne Bezeichnung aus aktuellerer Zeit - bedarf es nicht nur im Wettstreit um Forschungsfördergelder Richtlinien, die der Logik übergeordnet sind.
Die Ausrichtung an der Zweckdienlichkeit von Konstruktionen, nicht etwa an Schönheit oder Gerechtigkeit, ist gerade im gesellschaftlichen Kontext effektiv. So können Strukturen und Institutionen konstruiert werden, die dem Menschen einen Zweck zuweisen, ihn zweckdienlich machen. Der Mensch kehrt auf diese Weise, als Moment der Nützlichkeit zurück in ein festes, gesamtgesellschafttliches Wertemodell. Er selbst konstruiert seinen persönlichen Wertekanon in Abstimmung zu den Maximen der zweckdienlichen Gesellschaft indem er sich und seine Mitmenschen zu seinem Zwecke brauchbar macht. Der Gesellschaftsvertrag ist nicht länger nur der Minimalkonsens, sich gegenseitig nicht umzubringen. Er bildet den Kanon der Zwecke, für welche Menschen einander gebrauchen sollten. Dazu gehören in erster Linie monitäre aber auch sexuelle oder losere soziale Austauschverhältnisse. Interessant ist dabei, dass Wirtschaft und Gesellschaft fortschreitend zu einer ununterscheidbaren Einheit verschmelzen. Wo vor Jahrzehnten zu Recht eine künstliche Oberhoheit des einen über das andere als tendenziöse Sichtweise moniert wurde, hat das absolute Dogma der Zweckdienlichkeit, welches nunmehr beiden Segmenten unbestreitbar zu eigen ist, nicht nur die Postulate des Denkens sondern auch die Gesetze des Handelns ganzheitlich austauschbar gemacht. Mit anderen Worten: Die Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nur noch als ideale Konstruktion aufrecht zu erhalten, de facto gibt es sie nicht mehr. Das Dogma der Nützlichkeit hat es nicht nur geschafft, dem Menschen sich und seine Umwelt vollständig nach der jeweiligen Zweckdienlichkeit zu strukturieren, es hat ihn auch ein ganzheitliches Denken in allen Lebensbereichen ermöglicht. Denn alle Fragen des Lebens kann er nunmehr effektiv auf einen Maßstab herunter brechen: Lohnt es?
Die Ausrichtung an der Zweckdienlichkeit von Konstruktionen, nicht etwa an Schönheit oder Gerechtigkeit, ist gerade im gesellschaftlichen Kontext effektiv. So können Strukturen und Institutionen konstruiert werden, die dem Menschen einen Zweck zuweisen, ihn zweckdienlich machen. Der Mensch kehrt auf diese Weise, als Moment der Nützlichkeit zurück in ein festes, gesamtgesellschafttliches Wertemodell. Er selbst konstruiert seinen persönlichen Wertekanon in Abstimmung zu den Maximen der zweckdienlichen Gesellschaft indem er sich und seine Mitmenschen zu seinem Zwecke brauchbar macht. Der Gesellschaftsvertrag ist nicht länger nur der Minimalkonsens, sich gegenseitig nicht umzubringen. Er bildet den Kanon der Zwecke, für welche Menschen einander gebrauchen sollten. Dazu gehören in erster Linie monitäre aber auch sexuelle oder losere soziale Austauschverhältnisse. Interessant ist dabei, dass Wirtschaft und Gesellschaft fortschreitend zu einer ununterscheidbaren Einheit verschmelzen. Wo vor Jahrzehnten zu Recht eine künstliche Oberhoheit des einen über das andere als tendenziöse Sichtweise moniert wurde, hat das absolute Dogma der Zweckdienlichkeit, welches nunmehr beiden Segmenten unbestreitbar zu eigen ist, nicht nur die Postulate des Denkens sondern auch die Gesetze des Handelns ganzheitlich austauschbar gemacht. Mit anderen Worten: Die Trennung von Wirtschaft und Gesellschaft ist nur noch als ideale Konstruktion aufrecht zu erhalten, de facto gibt es sie nicht mehr. Das Dogma der Nützlichkeit hat es nicht nur geschafft, dem Menschen sich und seine Umwelt vollständig nach der jeweiligen Zweckdienlichkeit zu strukturieren, es hat ihn auch ein ganzheitliches Denken in allen Lebensbereichen ermöglicht. Denn alle Fragen des Lebens kann er nunmehr effektiv auf einen Maßstab herunter brechen: Lohnt es?
Soll man sich töten oder wenn nicht, wie?
gonzosophie | 07. März 08 | Topic 'Minima Memoralia'
„Er lag immer in einer Stellung: steif auf dem Rücken. Er lag auf dem Rücken, in einem langen Stuhl, der Stuhl stand in einem geraden Zimmer, das Zimmer stand im Haus und das Haus auf einem Hügel. Außer ein paar Vögeln war er das höchste Tier. So trug ihn die Erde leise durch den Äther und ohne Erschütterungen an allen Sternen vorbei.“
(Gottfried Benn, „Gehirne“)
Fragt man den Menschen, was dem Leben seinen Wert verleiht, beginnt er meist eine mehr oder minder lange Aufzählung. Was mich an so einer Sammlung immer stören wird ist die Frage, warum man eigentlich meint mehrere triftige Gründe angeben zu müssen, wenn doch schon ein tatsächlich hinreichender Grund völlig ausreicht.
Nahezu obligatorisch ist die Phrase der „kleinen Dinge“, die das Leben lebenswert werden ließen. Nun mag man in die kleinen Dinge flüchten, wenn die großen offensichtlich wenig Nährboden für Lebensfreude bieten, doch lässt sich ein Leben nur aus Kleinteilen zusammensetzen? Im Großen und Ganzen schon. Man fokussiert die eigene Wahrnehmung auf einen bestimmten Part hin, überdehnt diesen gleichzeitig zum einzigen Bezugspunkt des eigenen Lebens. Der große Rest rückt ans Außen, wird abgekapselt und relativiert. Es findet somit eine gesteuerte Bewussteinsverzerrung statt, eine Selbstreduktion ins Kleine, die Flucht ins Private ist die nüchternste Form der Betäubung und eine von der Gesellschaft akzeptierte. So lebt die Mutter plötzlich nur noch für ihr Kind, sieht ihr eigenes Dasein von dessen Wohl und Weh bestimmt, während Massenarbeitslosigkeit und Weltkrieg zu Randerscheinungen der Rahmenhandlung deklassiert werden. Dieses Verhalten erscheint durchaus plausibel, ist das zum Wohl der Mutter korrelative Befinden ihres Kindes für sie doch weitaus greifbarer, beeinflussbar und in gewissem Sinne durchaus zu kontrollieren – ganz anders als Weltkrieg und Massenarbeitslosigkeit.
Der Mechanismus wird schon in Epikurs Lehre entwickelt, der die Lust zu maximieren strebte, indem er sie auf die Objekte alltäglicher Verfügbarkeit richtete. Eine lustvolle Askese – so soll der Mensch in Frieden und Glück leben können, wenn er letzteres schon in Form seines täglichen Brotes oder einem Becher klaren Wassers fände. Die Konsequenz dieser Schwerpunktsetzung und damit Selbstbeschränkung liegt im „lathe biosas“, dem Aufruf verborgen zu leben. Diese „Verborgenheit“ ist das, was man heute gemeinhin als Flucht ins Private beschreibt.
In der Antike galt ein Mensch, dessen Leben sich, einem Sklaven gleich, gänzlich aus dem öffentlichen Raum entzog und nur auf den Bereich des privaten Eigen-tums beschränkte, als „idiotes“ (interessanterweise aber auch derjenige, welcher glaubten alles Private sei öffentlich). Dieser Begriff, der Beschränktheit und mangelnde Ausbildung in Dingen, die über die geringsten menschlichen Nothdurften hinaus reichen, beschreibt, hat sich uns bis heute als Beleidigung erhalten. Und zwar obwohl die Begriffe „privat“ und „öffentlich“ einen großen Wandel erlebten. Erhalten hat sich ebenfalls die Gattung solcher Beschränktheit, sie erlebt sogar eine neuerliche Konjunktur. Idiotie als Opium des Volkes wurde zur Mode- und Designerdroge. So propagieren nicht nur institutionelle Willensbildungsstätten (Parteien) ein Recht des Einzelnen auf öffentliches Desinteresse, auch Massenmedien und soziales Umfeld halten das Bild des kuscheligen Daheimbleibens als finales Ziel menschlicher Existenz aufrecht.
Ich schließe mich dieser Tendenz gerne an, doch wenn schon Opium, warum dann die nüchterne Variante? Wenn Glück offensichtlich nur Ergebnis der Betäubung und Verzerrung gewisser Bewussteinsebenen ist, warum sich dann auf gesellschaftliche Mittel beschränken. Nicht aus der Peripherie, aus dem eigenen Körper sollte der Mensch sein Glück schöpfen. Die Reduktion und Konzentration der eigenen Interessen lässt sich nicht nur durch Beschneidung sozialer Verflechtungen erreichen, sondern auch durch direkt chemische Beeinflussung des Bewusstseins. Opiate sind da sicherlich ein guter Anfang. Durch sie kann der Moment überdehnt, dass Bewusstsein verkapselt werden. In einem Stoff destillieren sich somit Wunsch und Bewusstsein gleichermaßen. Die Betäubung lässt sich gezielt beeinflussen, steigern.
Neben der Gemeinsamkeit, Abhängigkeit zu erzeugen und ihre Anhänger ins Verborgene zu ziehen, teilen sich für mich beide Formen der Betäubung die Frage, wie stark das Bewusstsein letztlich konzentriert, der Moment überdehnt werden kann. Anders gefragt: Wie viel Bewusstsein ist notwendig um Betäubung spüren und als Glück empfinden zu können. Hier sollten Feldversuche angestellt werden.
(Gottfried Benn, „Gehirne“)
Fragt man den Menschen, was dem Leben seinen Wert verleiht, beginnt er meist eine mehr oder minder lange Aufzählung. Was mich an so einer Sammlung immer stören wird ist die Frage, warum man eigentlich meint mehrere triftige Gründe angeben zu müssen, wenn doch schon ein tatsächlich hinreichender Grund völlig ausreicht.
Nahezu obligatorisch ist die Phrase der „kleinen Dinge“, die das Leben lebenswert werden ließen. Nun mag man in die kleinen Dinge flüchten, wenn die großen offensichtlich wenig Nährboden für Lebensfreude bieten, doch lässt sich ein Leben nur aus Kleinteilen zusammensetzen? Im Großen und Ganzen schon. Man fokussiert die eigene Wahrnehmung auf einen bestimmten Part hin, überdehnt diesen gleichzeitig zum einzigen Bezugspunkt des eigenen Lebens. Der große Rest rückt ans Außen, wird abgekapselt und relativiert. Es findet somit eine gesteuerte Bewussteinsverzerrung statt, eine Selbstreduktion ins Kleine, die Flucht ins Private ist die nüchternste Form der Betäubung und eine von der Gesellschaft akzeptierte. So lebt die Mutter plötzlich nur noch für ihr Kind, sieht ihr eigenes Dasein von dessen Wohl und Weh bestimmt, während Massenarbeitslosigkeit und Weltkrieg zu Randerscheinungen der Rahmenhandlung deklassiert werden. Dieses Verhalten erscheint durchaus plausibel, ist das zum Wohl der Mutter korrelative Befinden ihres Kindes für sie doch weitaus greifbarer, beeinflussbar und in gewissem Sinne durchaus zu kontrollieren – ganz anders als Weltkrieg und Massenarbeitslosigkeit.
Der Mechanismus wird schon in Epikurs Lehre entwickelt, der die Lust zu maximieren strebte, indem er sie auf die Objekte alltäglicher Verfügbarkeit richtete. Eine lustvolle Askese – so soll der Mensch in Frieden und Glück leben können, wenn er letzteres schon in Form seines täglichen Brotes oder einem Becher klaren Wassers fände. Die Konsequenz dieser Schwerpunktsetzung und damit Selbstbeschränkung liegt im „lathe biosas“, dem Aufruf verborgen zu leben. Diese „Verborgenheit“ ist das, was man heute gemeinhin als Flucht ins Private beschreibt.
In der Antike galt ein Mensch, dessen Leben sich, einem Sklaven gleich, gänzlich aus dem öffentlichen Raum entzog und nur auf den Bereich des privaten Eigen-tums beschränkte, als „idiotes“ (interessanterweise aber auch derjenige, welcher glaubten alles Private sei öffentlich). Dieser Begriff, der Beschränktheit und mangelnde Ausbildung in Dingen, die über die geringsten menschlichen Nothdurften hinaus reichen, beschreibt, hat sich uns bis heute als Beleidigung erhalten. Und zwar obwohl die Begriffe „privat“ und „öffentlich“ einen großen Wandel erlebten. Erhalten hat sich ebenfalls die Gattung solcher Beschränktheit, sie erlebt sogar eine neuerliche Konjunktur. Idiotie als Opium des Volkes wurde zur Mode- und Designerdroge. So propagieren nicht nur institutionelle Willensbildungsstätten (Parteien) ein Recht des Einzelnen auf öffentliches Desinteresse, auch Massenmedien und soziales Umfeld halten das Bild des kuscheligen Daheimbleibens als finales Ziel menschlicher Existenz aufrecht.
Ich schließe mich dieser Tendenz gerne an, doch wenn schon Opium, warum dann die nüchterne Variante? Wenn Glück offensichtlich nur Ergebnis der Betäubung und Verzerrung gewisser Bewussteinsebenen ist, warum sich dann auf gesellschaftliche Mittel beschränken. Nicht aus der Peripherie, aus dem eigenen Körper sollte der Mensch sein Glück schöpfen. Die Reduktion und Konzentration der eigenen Interessen lässt sich nicht nur durch Beschneidung sozialer Verflechtungen erreichen, sondern auch durch direkt chemische Beeinflussung des Bewusstseins. Opiate sind da sicherlich ein guter Anfang. Durch sie kann der Moment überdehnt, dass Bewusstsein verkapselt werden. In einem Stoff destillieren sich somit Wunsch und Bewusstsein gleichermaßen. Die Betäubung lässt sich gezielt beeinflussen, steigern.
Neben der Gemeinsamkeit, Abhängigkeit zu erzeugen und ihre Anhänger ins Verborgene zu ziehen, teilen sich für mich beide Formen der Betäubung die Frage, wie stark das Bewusstsein letztlich konzentriert, der Moment überdehnt werden kann. Anders gefragt: Wie viel Bewusstsein ist notwendig um Betäubung spüren und als Glück empfinden zu können. Hier sollten Feldversuche angestellt werden.
Aphorismus II
gonzosophie | 06. März 08 | Topic 'Minima Memoralia'
Immer schwanke ich dazwischen, der Kunst jeden Wert abzusprechen, denn sie produziert nur, was in jedem Menschen sowieso vorhanden ist - und ihr den höchsten aller Werte zuzusprechen, denn nur sie produziert, was allen Menschen teilhaftig ist.
Frauen stinken (?)
gonzosophie | 29. Februar 08 | Topic 'Minima Memoralia'
Nein, ich habe es nicht gelesen. Es liegt aber auch wohl in der Autorenabsicht, mit diesem Buch einen größeren Kreis als das lesende Publikum anzusprechen. Jeder scheint betroffen, geht es doch um die crux mundi: Männer, Frauen und was sie mit ihren Körperöffnungen so alles anstellen. „Feuchtgebiete“ eben, Charlotte Roches Debütantinnenstück in Sachen „Roman“. Eine Streitschrift auf dem Schlachtfelde der Geruchsauthentizität und wider den sog. Feminismus aktuller Ausprägung, welcher sich in vorauseilendem Rollengehorsam erschöpft und diesen als weibliches Naturell verkaufen möchte. Sicher ein interessantes Feld. Aber muss es wirklich auf diese Weise beackert werden? „Ich benutze mein Smegma wie andere ihre Parfümflakons. Mit dem Finger kurz in die Muschi getunkt und etwas Schleim hinters Ohrläppchen getupft und verrieben. Wirkt schon beim Begrüßungsküsschen Wunder“, so lautet der erste Satz der amazon.de Produktbeschreibung und wenn man dem Feuilleton Glauben schenken darf, so ist er durchaus exemplarisch.
Ich möchte so etwas weder lesen noch durchdenken. Da bin ich wohl verklemmt. Doch ich finde auch die Diskussion um eine angenommene „Natürlichkeit“ sehr müßig. Entgegen der weitläufigen Meinung möchte ich beispielsweise sehr in Frage stellen, ob Frauen in prähistorischen sozialen Gruppen tatsächlich eine gehobene Stellung besaßen, da sie sich ihre Sexualpartner aussuchen konnten. Menschen haben ihre „natürliche“ Sexualität längst überwunden – zum Glück! Wir sind nicht nur Naturwesen, wir sind verspielt. Gerade im Bereich Sexualität haben sich seit Menschengedenken verschiedenste Spielarten entwickelt. Weder Intimrasur noch Intimfrisur sind eine größere Perversion als das jeweils andere, wohingegen ich es einfach mal als zivilisatorischen Fortschritt anerkennen würde, wenn man sich denn ab und an mal wäscht. Verstehen sie mich nicht falsch, ich würde doch niemals jemanden zwingen, sich zu waschen. Aber ich sehe auch keine Diskriminierung darin, weiträumig ausströmenden Genitalgeruch als sozialen Störfaktor zu identifizieren. Das ließe sich sicher auch empirisch untermauern, von irgendeiner amerikanischen Uni z.B. Dass der Geruchssinn auch der Geschmackssinn ist, erkenne ich an. Und Geschmäcker unterscheiden sich: Der eine schnuppert lieber an roten Rosen, der andere an rosa Rosetten - meinetwegen. Beide teilen sich ja durchaus die gleichen Aromastoffe (Indol). Darüber lässt sich also schlecht streiten. Aber wie lässt sich dann darüber etwas sinnvolles schreiben?
In jedem Fall kann man das, was hinten raus kommt sehr gut verkaufen - wie eben nahezu ein jedes Werk prominenter Autoren, welches vielfach Genitalsynonyme enthält. Ob man seine Nase jedoch in dieses sekretgeschwängerte Opus stecken oder lediglich darüber rümpfen möchte, bleibt wohl Geschmackssache. Ich greife derweil lieber zu buchstäblich trockenerer Lektüre oder vergnüge mich mit niveauvollem Bildungsfernsehen (siehe Kommentar) welches beweist: Auch stinkende Männer können Sympathieträger sein. Ihnen viel Spaß, ob nun in Bildungswüste oder Feuchtgebiet.
Ich möchte so etwas weder lesen noch durchdenken. Da bin ich wohl verklemmt. Doch ich finde auch die Diskussion um eine angenommene „Natürlichkeit“ sehr müßig. Entgegen der weitläufigen Meinung möchte ich beispielsweise sehr in Frage stellen, ob Frauen in prähistorischen sozialen Gruppen tatsächlich eine gehobene Stellung besaßen, da sie sich ihre Sexualpartner aussuchen konnten. Menschen haben ihre „natürliche“ Sexualität längst überwunden – zum Glück! Wir sind nicht nur Naturwesen, wir sind verspielt. Gerade im Bereich Sexualität haben sich seit Menschengedenken verschiedenste Spielarten entwickelt. Weder Intimrasur noch Intimfrisur sind eine größere Perversion als das jeweils andere, wohingegen ich es einfach mal als zivilisatorischen Fortschritt anerkennen würde, wenn man sich denn ab und an mal wäscht. Verstehen sie mich nicht falsch, ich würde doch niemals jemanden zwingen, sich zu waschen. Aber ich sehe auch keine Diskriminierung darin, weiträumig ausströmenden Genitalgeruch als sozialen Störfaktor zu identifizieren. Das ließe sich sicher auch empirisch untermauern, von irgendeiner amerikanischen Uni z.B. Dass der Geruchssinn auch der Geschmackssinn ist, erkenne ich an. Und Geschmäcker unterscheiden sich: Der eine schnuppert lieber an roten Rosen, der andere an rosa Rosetten - meinetwegen. Beide teilen sich ja durchaus die gleichen Aromastoffe (Indol). Darüber lässt sich also schlecht streiten. Aber wie lässt sich dann darüber etwas sinnvolles schreiben?
In jedem Fall kann man das, was hinten raus kommt sehr gut verkaufen - wie eben nahezu ein jedes Werk prominenter Autoren, welches vielfach Genitalsynonyme enthält. Ob man seine Nase jedoch in dieses sekretgeschwängerte Opus stecken oder lediglich darüber rümpfen möchte, bleibt wohl Geschmackssache. Ich greife derweil lieber zu buchstäblich trockenerer Lektüre oder vergnüge mich mit niveauvollem Bildungsfernsehen (siehe Kommentar) welches beweist: Auch stinkende Männer können Sympathieträger sein. Ihnen viel Spaß, ob nun in Bildungswüste oder Feuchtgebiet.
Versuch zur Rehabilitierung der Geisteswissenschaften (I)
gonzosophie | 11. Februar 08 | Topic 'Minima Memoralia'
Wahrlich, wir leben in postmodernen Zeiten. Unsere Aufteilung universitärer Forschung in Geistes- und Naturwissenschaft dagegen ist lediglich modern. Dabei erscheint sie noch lange nicht überkommen, im Gegenteil: Allerorten findet eine Renaissance dieser Trennung statt. Man muss sich nicht erst die Aufteilung der Förderung von „Exzellenz-Initiativen“ ansehen, um eine Dichotomie der Fakultäten zu erkennen. Doch tritt gerade hier offen hervor, welche Seite als exzellent betrachtet wird, welche immer weiter zurückweicht. Die Geisteswissenschaften sterben aus, ihre Gegenstände werden von anderen Disziplinen okkupiert, sie fühlen sich dem neuzeitlichen Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht gewachsen. Interdisziplinarität heute bedeutet dem Geisteswissenschaftler aufgrund seiner angeblich unfundierten „weichen“ Ausbildung auf den Rang eines Hilfswissenschaftlers verwiesen zu sein. Somit werden geisteswissenschaftliche Fächer immer mehr zu typischen Nebenfächern - ihre Aufgabe ist vielleicht noch die Kontextuierung der „eigentlichen“ Forschung. Wie konnte es dazu kommen?
Als Wilhelm Dilthey an der Schwelle des 19. zum 20. Jh seinen Begriff der Geisteswissenschaft entwickelte, hatte er damit noch beabsichtigt, ihr damit einen genuinen Wert zuzuweisen. Geschichte etwa sollte dem Menschen Verständnis der Welt aus den Lebenssituationen des Menschen vermitteln können. Sie verstehe, wo Materialisten, wenn überhaupt, nur erklären könnten. Damit lieferte Dilthey heutigen Kritikern offensichtlich die Steilvorlage: Geisteswissenschaft liefert keine Erklärungen, keine fundierten Kenntnisse. Nicht erst in der neueren Debatte um fiktionale Texte wurde der Geisteswissenschaft und der Geschichtswissenschaft im Besonderen denn auch unterstellt, dass sie im Grunde nichts weiter produziere als eben Fiktionen. Ein historiographischer Text unterscheide sich von einem frei erfundenen Roman nur durch den Verweis auf einen längst nicht mehr existierenden Handlungszusammenhang als Plot.
Physik ist da ganz anders: eine strenge Naturwissenschaft. Sie bezieht sich auf, beschreibt nichts als die Wirklichkeit. Wirklich? Sieht man sich an, worüber physikalische Texte Aussagen machen, sieht man sehr schnell wie wenig sie mit der Wirklichkeit zu tun haben. Sie sprechen von Laborbedingungen, von idealen Räumen, von absolutem Vakuum. Man bemerkt, auch diese Texte sind konstruiert, müssen ihren eigenen Sinnzusammenhang erst erstellen und ziehen ihn nicht einfach von der Dingwelt ab. Es geht einem sehr schnell auf, dass Galileos Fallgesetz eben nicht erklärt, wieso mein Füller herunterfällt, sondern nur dass alle Körper im Vakuum unabhängig von ihrer Gestalt, Zusammensetzung und Masse gleich schnell fallen. Auch Newton hat nie eine Theorie über Äpfel verfasst. Die Frage ist jedoch, ob wir aus der newtonschen Apfelanekdote nicht ebenfalls Kenntnisse ziehen können.
Als Wilhelm Dilthey an der Schwelle des 19. zum 20. Jh seinen Begriff der Geisteswissenschaft entwickelte, hatte er damit noch beabsichtigt, ihr damit einen genuinen Wert zuzuweisen. Geschichte etwa sollte dem Menschen Verständnis der Welt aus den Lebenssituationen des Menschen vermitteln können. Sie verstehe, wo Materialisten, wenn überhaupt, nur erklären könnten. Damit lieferte Dilthey heutigen Kritikern offensichtlich die Steilvorlage: Geisteswissenschaft liefert keine Erklärungen, keine fundierten Kenntnisse. Nicht erst in der neueren Debatte um fiktionale Texte wurde der Geisteswissenschaft und der Geschichtswissenschaft im Besonderen denn auch unterstellt, dass sie im Grunde nichts weiter produziere als eben Fiktionen. Ein historiographischer Text unterscheide sich von einem frei erfundenen Roman nur durch den Verweis auf einen längst nicht mehr existierenden Handlungszusammenhang als Plot.
Physik ist da ganz anders: eine strenge Naturwissenschaft. Sie bezieht sich auf, beschreibt nichts als die Wirklichkeit. Wirklich? Sieht man sich an, worüber physikalische Texte Aussagen machen, sieht man sehr schnell wie wenig sie mit der Wirklichkeit zu tun haben. Sie sprechen von Laborbedingungen, von idealen Räumen, von absolutem Vakuum. Man bemerkt, auch diese Texte sind konstruiert, müssen ihren eigenen Sinnzusammenhang erst erstellen und ziehen ihn nicht einfach von der Dingwelt ab. Es geht einem sehr schnell auf, dass Galileos Fallgesetz eben nicht erklärt, wieso mein Füller herunterfällt, sondern nur dass alle Körper im Vakuum unabhängig von ihrer Gestalt, Zusammensetzung und Masse gleich schnell fallen. Auch Newton hat nie eine Theorie über Äpfel verfasst. Die Frage ist jedoch, ob wir aus der newtonschen Apfelanekdote nicht ebenfalls Kenntnisse ziehen können.
Gonzosophieren?
gonzosophie | 31. Januar 08 | Topic 'Minima Memoralia'
Wie wäre es möglich Gonzosophie zu betreiben, wenn man sie nicht definieren könnte? Es kann und muss eine Definition von Gonzosophie geben, eo ipso. Sie besteht jedoch nicht in der Beschreibung eines Systems, einer Lehre, denn so funktioniert Gonzosophie nicht. Sie unterliegt keinen festen Sätzen und Axiomen, lässt sich in kein Definitionsgefüge einbauen. Es muss und kann also keine Definition von Gonzosophie geben, eo ipso. Wie ist es nun möglich Gonzosophie zu betreiben, wenn man sie nicht definieren kann?
Indem man sich gonzosophisch verhält. Ganz recht, Gonzosophie resultiert aus einem Verhalten, einem Verhältnis zwischen Welt und Selbst. Das heißt zuerst einmal, dass diese beiden Begriffe essentiell sind. Ohne Welt, ohne Selbst, ohne Welt- und Selbstwahrnehmung kann man sich schwerlich gonzosophisch verhalten. Gonzosophie aber geht über diese Wahrnehmung hinaus, leistet Verknüpfung, Vermischung von Welt und Selbst in der Reflexion. Sie vermischt die Reflexion mit der Aktion, dem Werk, der Wahrnehmung. Text ist Reflexion, ist Veralten zu sich und der Welt. Der gonzosophische Text ist somit schwerlich von seinem Autor und dessen Erlebnissen zu trennen, seine Erlebnisse erschließen sich uns und ihm nur im Rahmen von verschriftlichten Gedanken. Man schöpft aus dem vollen, grob gesagt.
Gonzosophie als Text will philosophisch sein, heißt so zu schreiben, als ob sich Leben darin ausdrücke und zu leben, als ob sich Philosophie darin fände. Man sieht leicht, dass dies ein Kreislauf ist. Nicht jeder Bestandteil ist gonzosophisch, das Verhältnis sollte es sein – und sein Produkt. Gonzosophie ist ein Herstellen. Sich selbst und textualisierte Gedanken stellt man her, formt gezielt, auch seine Welt (zumindest partiell). Gonzosophia est ars, ein freies Spiel; ein Okkasionalismus der Kunst, deshalb eklektizistisch und kontingent. Sie oszilliert, mit ihr der Gonzosoph.
Damit schafft sie ein Verhältnis der gegenseitigen Beeinflussung von Welt und Selbst, spielt mit dem Zwang, zwingt zum Spiel, Wortspiel – auch mit Theorien, auch mit Definitionen. Vor allem mit Fremdwörtern.
Indem man sich gonzosophisch verhält. Ganz recht, Gonzosophie resultiert aus einem Verhalten, einem Verhältnis zwischen Welt und Selbst. Das heißt zuerst einmal, dass diese beiden Begriffe essentiell sind. Ohne Welt, ohne Selbst, ohne Welt- und Selbstwahrnehmung kann man sich schwerlich gonzosophisch verhalten. Gonzosophie aber geht über diese Wahrnehmung hinaus, leistet Verknüpfung, Vermischung von Welt und Selbst in der Reflexion. Sie vermischt die Reflexion mit der Aktion, dem Werk, der Wahrnehmung. Text ist Reflexion, ist Veralten zu sich und der Welt. Der gonzosophische Text ist somit schwerlich von seinem Autor und dessen Erlebnissen zu trennen, seine Erlebnisse erschließen sich uns und ihm nur im Rahmen von verschriftlichten Gedanken. Man schöpft aus dem vollen, grob gesagt.
Gonzosophie als Text will philosophisch sein, heißt so zu schreiben, als ob sich Leben darin ausdrücke und zu leben, als ob sich Philosophie darin fände. Man sieht leicht, dass dies ein Kreislauf ist. Nicht jeder Bestandteil ist gonzosophisch, das Verhältnis sollte es sein – und sein Produkt. Gonzosophie ist ein Herstellen. Sich selbst und textualisierte Gedanken stellt man her, formt gezielt, auch seine Welt (zumindest partiell). Gonzosophia est ars, ein freies Spiel; ein Okkasionalismus der Kunst, deshalb eklektizistisch und kontingent. Sie oszilliert, mit ihr der Gonzosoph.
Damit schafft sie ein Verhältnis der gegenseitigen Beeinflussung von Welt und Selbst, spielt mit dem Zwang, zwingt zum Spiel, Wortspiel – auch mit Theorien, auch mit Definitionen. Vor allem mit Fremdwörtern.
Simplicissimus (Teil 4) - Wettbewerb
gonzosophie | 27. November 07 | Topic 'Minima Memoralia'
So stellt sich die Gesellschaft dann heute auch dar: Alles Sein ist zu Potenz transformiert, zum Willen. Alles Werden ist Verschlingung und alles was nicht tot ist muss verschlingen, muss wollen. Dies unter dem Deckmantel einer suggestiven Moral, die das Grundmuster dieses Willens nicht mehr leugnet sondern geschmackvoll kleidet. So wird aus Verschlingung Selbstverwirklichung, Existenzkampf wird zum gesunden Wettbewerb, Vereinzelung heißt nun Emanzipation.
Diese Weltsicht folgt der „neuen Moral“ Nietzsches und hüllt sie in das Ideal des Fortschrittsglaubens und das Vokabular der neuen Medien. Niemand bestreitet mehr die hilflose Verlorenheit und den Zwang zum Raubtierverhalten des Individuums. Dies alles ist schließlich überliefert, institutionalisiert und beglaubigt – nicht erst seit Castingshows. Man geht gemeinhin davon aus, dass man sich diesem gesellschaftlichen Zwang zum Gegeneinander nicht entziehen kann. So entfremdet sind wir, dass wir die künstlichsten aller Gesellschaftsprodukte nicht mehr als von Menschen geschaffen erkennen. Dabei sind es oft gerade die Menschen, die sich auf die Unabänderlichkeit der Gesellschaft berufen („ja was hätte ich denn machen sollen?“), die sie als Funktionsträger zu dem machen, was sie ist. Kultur als Entäußerung betrachtet verdeutlicht hier ihre Ironie: Die Herrschaft der Maschinerie über ihren Erbauer, der sich nicht mehr als solcher begreift.
Wettbewerbsdenken gilt als absolut, unsere heutige Gesellschaft mit ihm. So geben wir uns dem hin, was als kruder Dingzwang erscheint, gekleidet in spielerische Konventionen und federne Maßregeln. Das Individuum habe sich zu beugen, sich anzupassen und es müsse für den globalen Kampf gegen seine Zeitgenossen bereitet werden, spätestens wenn es die Zahlen bis 100 aufsagen kann. Dass dabei gewisse persönliche Überzeugungen korrigiert werden, Vorstellung über das Mit- und Füreinander scheitern müssen, ist vorprogrammiert. Es kann kein richtiges Leben im Falschen geben. Wo es aber kein „richtig“ mehr gibt, scheint es jenseits der groben verstöße auch kein „falsch“ mehr zu geben. Wie oben gezeigt, hört jeder Anspruch der Verantwortlichkeit für andere und vor sich selbst auf, normativ zu sein.
Was ist das für ein entmenschlichtes Spiel, dessen Regeln wir Menschen uns als absolut gesetzt haben? Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder, der die Implikationen dieser Spielregeln einmal im gesamten bedenkt und mit seinen innersten Wünschen vergleicht nicht zu Deckungsgleichheit kommen kann. Der Mensch ist kein allfressendes Raubtier.
Also muss dieses Spiel aufhören.
Diese Weltsicht folgt der „neuen Moral“ Nietzsches und hüllt sie in das Ideal des Fortschrittsglaubens und das Vokabular der neuen Medien. Niemand bestreitet mehr die hilflose Verlorenheit und den Zwang zum Raubtierverhalten des Individuums. Dies alles ist schließlich überliefert, institutionalisiert und beglaubigt – nicht erst seit Castingshows. Man geht gemeinhin davon aus, dass man sich diesem gesellschaftlichen Zwang zum Gegeneinander nicht entziehen kann. So entfremdet sind wir, dass wir die künstlichsten aller Gesellschaftsprodukte nicht mehr als von Menschen geschaffen erkennen. Dabei sind es oft gerade die Menschen, die sich auf die Unabänderlichkeit der Gesellschaft berufen („ja was hätte ich denn machen sollen?“), die sie als Funktionsträger zu dem machen, was sie ist. Kultur als Entäußerung betrachtet verdeutlicht hier ihre Ironie: Die Herrschaft der Maschinerie über ihren Erbauer, der sich nicht mehr als solcher begreift.
Wettbewerbsdenken gilt als absolut, unsere heutige Gesellschaft mit ihm. So geben wir uns dem hin, was als kruder Dingzwang erscheint, gekleidet in spielerische Konventionen und federne Maßregeln. Das Individuum habe sich zu beugen, sich anzupassen und es müsse für den globalen Kampf gegen seine Zeitgenossen bereitet werden, spätestens wenn es die Zahlen bis 100 aufsagen kann. Dass dabei gewisse persönliche Überzeugungen korrigiert werden, Vorstellung über das Mit- und Füreinander scheitern müssen, ist vorprogrammiert. Es kann kein richtiges Leben im Falschen geben. Wo es aber kein „richtig“ mehr gibt, scheint es jenseits der groben verstöße auch kein „falsch“ mehr zu geben. Wie oben gezeigt, hört jeder Anspruch der Verantwortlichkeit für andere und vor sich selbst auf, normativ zu sein.
Was ist das für ein entmenschlichtes Spiel, dessen Regeln wir Menschen uns als absolut gesetzt haben? Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder, der die Implikationen dieser Spielregeln einmal im gesamten bedenkt und mit seinen innersten Wünschen vergleicht nicht zu Deckungsgleichheit kommen kann. Der Mensch ist kein allfressendes Raubtier.
Also muss dieses Spiel aufhören.
Simplicissimus (Teil 3) – Pragmatiker
gonzosophie | 07. November 07 | Topic 'Minima Memoralia'
Freiheit ist nämlich immer auch die Freiheit der Anderen, welche eigene Zukunftsvisionen beschränkt oder ihnen gar entgegenstehen kann.
Dennoch, Freiheit bleibt ein wichtiger Begriff. Das eigentliche Problem liegt jedoch in der Umdeutung dieses Begriffs. Die Maxime Freiheit beruht nicht mehr auf möglichst selbstständiger Entscheidung für eine Handlungsoption, sondern auf der Verfügbarkeit von möglichst vielen Handlungsoptionen, in erster Linie materiellen. So gilt heute derjenige Mensch, der sich alles leisten kann, als frei. Diese individuelle Pecuniarfreiheit des Machens und Könnens hat offensichtlich der politischen oder religiösen Rechtsfreiheit des Dürfens den Rang abgelaufen. Sie werden gerade heute aktiv gegeneinander eingetauscht. Oft wird erstere auch als „Sicherheit“ bezeichnet, traditionsgemäß eher der Widerpart der Freiheit - in diesem Zusammenhang wird deutlich warum. Auf genannte Dimension herunter gebrochen bedeutet in einer marktwirtschaftlichen Welt, deren Ressourcen verknappt sind, die Freiheit des Einen zwangsläufig die Beschränkung des Anderen. Es gibt nicht mehr Wert, als geschöpft werden kann, sondern umgekehrt. Die Ängste hierzulande, um die Früchte der Jahrzehnte an der Spitze der Exportkette gebracht zu werden, sind dabei durchaus verständlich.
Das Denkmuster Markt, wie weiter oben beschrieben, dringt in alle Deutungssysteme ein. Damit auch der Zwang zur Expansion. Dies erscheint jedoch keinesfalls als simple Raffgier oder als Geiz. Die Strukturen selbst sind nicht länger nur pecuniär, sie gehen mit einer tiefgreifenden Ideologie einher, die keine mehr sein will. Die des sog. Pragmatismus, der Machbarkeit.
Pragmatismus soll im Idealfall utilitaristisches Handeln befördern: Die Handlung wird nach dem Ergebnis beurteilt, dass für alle Beteiligten best- und das heißt heute größtmöglich ausfallen sollte. Dabei treten alle anderen Bewertungskriterien, etwa die Aktionsweise, persönliche Präferenzen und Überzeugungen der Handelnden in den Hintergrund. Natürlich versteckt sich hinter dieser Ideologielosigkeit wiederum eine eigene Ideologie mit Innen/Außendifferenz. Das Ergebnis muss nicht für alle bestmöglich ausfallen, sondern hauptsächlich für den/die Pragmatiker. Grundlegender Bestandteil dieser Ideologie ist die genannte „Eigenverantwortung“, ein Begriff der letztlich nichts anderes beschreibt als das Bekenntnis zum existentiellen Daseinskampf, wie er auch schon von anderen Ideologien behauptet wurde. Eigenverantwortung bedeutet nicht die Selbstbestimmung sondern den Zwang zur Selbstbehauptung des Individuums auf dem sog. freien Markt. Das Individuum selbst sei für die von ihm erzielbaren und erzielten Ergebnisse auf diesem Markt verantwortlich und habe deshalb pragmatisch zu handeln, um seinen Gewinn größtmöglich zu maximieren.
Der große Vorteil des Zuspruchs von Eigenverantwortung ist das dabei behauptete Fehlen jeglicher Mitverantwortung. Das Individuum kann sich jederzeit von den Handlungen Anderer so wie deren Folgen distanzieren. Es kann sich aber auch jederzeit von den Auswirkungen bzw. den erforderlichen Mitteln seiner eigenen Handlungen distanzieren, schließlich ist es neben dem selektiven Druck des Marktes auch noch den Mechanismen der Eigenverantwortung und der Gewinnmaximierung unterworfen. Schön blöd, wer dem nicht folgt, aber eben auch selbst schuld. Kontrolle und Mitleid werden somit im besten Falle lediglich überflüssig. Überflüssig ist es genauso zu erwähnen, dass der Markt dabei in keiner der oben beschriebenen Weisen wirklich frei ist. Aber wir wollen hier nun auch nicht in eine Kritik der Marktsysteme verfallen, das haben andere schon besser und grundlegender gekonnt.
Dennoch, Freiheit bleibt ein wichtiger Begriff. Das eigentliche Problem liegt jedoch in der Umdeutung dieses Begriffs. Die Maxime Freiheit beruht nicht mehr auf möglichst selbstständiger Entscheidung für eine Handlungsoption, sondern auf der Verfügbarkeit von möglichst vielen Handlungsoptionen, in erster Linie materiellen. So gilt heute derjenige Mensch, der sich alles leisten kann, als frei. Diese individuelle Pecuniarfreiheit des Machens und Könnens hat offensichtlich der politischen oder religiösen Rechtsfreiheit des Dürfens den Rang abgelaufen. Sie werden gerade heute aktiv gegeneinander eingetauscht. Oft wird erstere auch als „Sicherheit“ bezeichnet, traditionsgemäß eher der Widerpart der Freiheit - in diesem Zusammenhang wird deutlich warum. Auf genannte Dimension herunter gebrochen bedeutet in einer marktwirtschaftlichen Welt, deren Ressourcen verknappt sind, die Freiheit des Einen zwangsläufig die Beschränkung des Anderen. Es gibt nicht mehr Wert, als geschöpft werden kann, sondern umgekehrt. Die Ängste hierzulande, um die Früchte der Jahrzehnte an der Spitze der Exportkette gebracht zu werden, sind dabei durchaus verständlich.
Das Denkmuster Markt, wie weiter oben beschrieben, dringt in alle Deutungssysteme ein. Damit auch der Zwang zur Expansion. Dies erscheint jedoch keinesfalls als simple Raffgier oder als Geiz. Die Strukturen selbst sind nicht länger nur pecuniär, sie gehen mit einer tiefgreifenden Ideologie einher, die keine mehr sein will. Die des sog. Pragmatismus, der Machbarkeit.
Pragmatismus soll im Idealfall utilitaristisches Handeln befördern: Die Handlung wird nach dem Ergebnis beurteilt, dass für alle Beteiligten best- und das heißt heute größtmöglich ausfallen sollte. Dabei treten alle anderen Bewertungskriterien, etwa die Aktionsweise, persönliche Präferenzen und Überzeugungen der Handelnden in den Hintergrund. Natürlich versteckt sich hinter dieser Ideologielosigkeit wiederum eine eigene Ideologie mit Innen/Außendifferenz. Das Ergebnis muss nicht für alle bestmöglich ausfallen, sondern hauptsächlich für den/die Pragmatiker. Grundlegender Bestandteil dieser Ideologie ist die genannte „Eigenverantwortung“, ein Begriff der letztlich nichts anderes beschreibt als das Bekenntnis zum existentiellen Daseinskampf, wie er auch schon von anderen Ideologien behauptet wurde. Eigenverantwortung bedeutet nicht die Selbstbestimmung sondern den Zwang zur Selbstbehauptung des Individuums auf dem sog. freien Markt. Das Individuum selbst sei für die von ihm erzielbaren und erzielten Ergebnisse auf diesem Markt verantwortlich und habe deshalb pragmatisch zu handeln, um seinen Gewinn größtmöglich zu maximieren.
Der große Vorteil des Zuspruchs von Eigenverantwortung ist das dabei behauptete Fehlen jeglicher Mitverantwortung. Das Individuum kann sich jederzeit von den Handlungen Anderer so wie deren Folgen distanzieren. Es kann sich aber auch jederzeit von den Auswirkungen bzw. den erforderlichen Mitteln seiner eigenen Handlungen distanzieren, schließlich ist es neben dem selektiven Druck des Marktes auch noch den Mechanismen der Eigenverantwortung und der Gewinnmaximierung unterworfen. Schön blöd, wer dem nicht folgt, aber eben auch selbst schuld. Kontrolle und Mitleid werden somit im besten Falle lediglich überflüssig. Überflüssig ist es genauso zu erwähnen, dass der Markt dabei in keiner der oben beschriebenen Weisen wirklich frei ist. Aber wir wollen hier nun auch nicht in eine Kritik der Marktsysteme verfallen, das haben andere schon besser und grundlegender gekonnt.
Simplicissimus (Teil 2) - Innere Sicherheit
gonzosophie | 23. Juli 07 | Topic 'Minima Memoralia'
Hier liegt das Problem: Wenn man sich die heutige Konnotation des Begriffes „Eigenverantwortung“ ansieht, muss man bemerken, dass dieser Terminus öffentlich ausschließlich als finanzieller auftaucht. Auch fällt einem die seltsame Trennung von Verantwortung und Freiheit auf, die man dabei heute voraussetzt. Man ist verantwortlich, für Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Dabei werden Freiheiten unterstellt, die man gar nicht besitzt, aber das ist nur ein Nebenschauplatz.
Freiheit wird mit Sicherheit kontrastiert, letztere ist zum Leitmotiv in Wirtschaft, Gesellschaft - ja überall geworden. Freiheiten und Selbstbestimmung sind heute nicht nur nicht erreicht, ihnen wird ausgewichen, wo es nur geht. Als symptomatisch kann die Debatte um die innere Sicherheit gelten. Dort wurden massive Restriktionen gegen alle Bürger hingenommen, ohne dass diese durch akute Bedrohungen oder wenigstens präventive Erfolge gerechtfertigt worden wären. Zur Erinnerung: Rasterfahndung, Telefondatenspeicherung, Lauschangriff, verstärkte Videoüberwachung, PC Durchsuchungen, Geruchsproben, finaler Rettungsschuss – der einzige groß angelegte Anschlag in Deutschland wurde letztlich durch die Unfähigkeit der Bombenbauer verhindert. Immer wieder lässt sich feststellen, dass Terroranschläge, wenn überhaupt, nur durch den Zufall oder klassische Wege, wie etwa aufmerksame Passanten vereitelt werden können.
Dennoch ernten auch die extremsten Vorschläge Lob. Wolfgang Schäuble etwa stellt Überlegungen über den weitmöglichst hergeholten Fall auf, dass deutsche Truppen in Afghanistan Osama Bin Laden aufspüren würden und als einzige die Möglichkeit und nur diese Möglichkeit hätten, ihn per Marschflugkörper zu töten. Für diesen Fall sei unsere Demokratie nicht wehrhaft genug, deshalb müsse das Grundgesetz überprüft, bzw. die präventive Tötung von ‚Gefährdern’ gesetzlich verankert werden. Nun muss man gar nicht darüber nachdenken wie unwahrscheinlich es ist, dass deutsche Sanitärsoldaten zufällig einen Zettel mit der Adresse Osamas Verstecks finden, um eine derartige Initiative auch nur aufgrund der anfallenden bürokratischen Kosten für Wahnsinn zu halten. Und dennoch, es wird in diese Richtung weitergedacht, weitergemacht.
Es ist schon erstaunlich, wie begehrt vermeintliche innere Sicherheit doch ist, was man bereit ist für sie zu geben oder sich antun zu lassen, wo doch der Innenminister selbst so klug ist, keine Garantien geben zu wollen. Risiken sollen nunmal minimiert werden, vor allem dort, wo sie für einen selbst nicht greifbar sind. Auch die neuere Nulltoleranz beim Nichtraucherschutz erscheint mir stellvertretend für die Sorge vor unsichtbaren Gefahren, deren Auswirkungen letztlich wesentlich geringer sind, als Aufhebens um sie gemacht wird. Der gesunde Mensch fürchtet sich heute mehr vor einem qualmenden Aschenbecher unter freiem Himmel, als vor Haushalts- oder Verkehrsunfällen.
In einer nahezu sicheren Gesellschaft verwundert es, wie viel Angst vorherrscht und eben auch, wovor die Leute Angst haben. Deshalb wirken noch so restriktive Maßnahmen populär, sie halten die zerbrechliche Illusion von Sicherheit aufrecht. Und nur dieses Sicherheitsversprechen kann den arbeitenden, sparenden, raffenden Bürger seines gerechten Lohnes versichern. Im Angesicht dessen, was er zu verlieren hat, erscheint ihm Freiheit weniger als Perspektive sondern vielmehr als Bedrohung.
Freiheit wird mit Sicherheit kontrastiert, letztere ist zum Leitmotiv in Wirtschaft, Gesellschaft - ja überall geworden. Freiheiten und Selbstbestimmung sind heute nicht nur nicht erreicht, ihnen wird ausgewichen, wo es nur geht. Als symptomatisch kann die Debatte um die innere Sicherheit gelten. Dort wurden massive Restriktionen gegen alle Bürger hingenommen, ohne dass diese durch akute Bedrohungen oder wenigstens präventive Erfolge gerechtfertigt worden wären. Zur Erinnerung: Rasterfahndung, Telefondatenspeicherung, Lauschangriff, verstärkte Videoüberwachung, PC Durchsuchungen, Geruchsproben, finaler Rettungsschuss – der einzige groß angelegte Anschlag in Deutschland wurde letztlich durch die Unfähigkeit der Bombenbauer verhindert. Immer wieder lässt sich feststellen, dass Terroranschläge, wenn überhaupt, nur durch den Zufall oder klassische Wege, wie etwa aufmerksame Passanten vereitelt werden können.
Dennoch ernten auch die extremsten Vorschläge Lob. Wolfgang Schäuble etwa stellt Überlegungen über den weitmöglichst hergeholten Fall auf, dass deutsche Truppen in Afghanistan Osama Bin Laden aufspüren würden und als einzige die Möglichkeit und nur diese Möglichkeit hätten, ihn per Marschflugkörper zu töten. Für diesen Fall sei unsere Demokratie nicht wehrhaft genug, deshalb müsse das Grundgesetz überprüft, bzw. die präventive Tötung von ‚Gefährdern’ gesetzlich verankert werden. Nun muss man gar nicht darüber nachdenken wie unwahrscheinlich es ist, dass deutsche Sanitärsoldaten zufällig einen Zettel mit der Adresse Osamas Verstecks finden, um eine derartige Initiative auch nur aufgrund der anfallenden bürokratischen Kosten für Wahnsinn zu halten. Und dennoch, es wird in diese Richtung weitergedacht, weitergemacht.
Es ist schon erstaunlich, wie begehrt vermeintliche innere Sicherheit doch ist, was man bereit ist für sie zu geben oder sich antun zu lassen, wo doch der Innenminister selbst so klug ist, keine Garantien geben zu wollen. Risiken sollen nunmal minimiert werden, vor allem dort, wo sie für einen selbst nicht greifbar sind. Auch die neuere Nulltoleranz beim Nichtraucherschutz erscheint mir stellvertretend für die Sorge vor unsichtbaren Gefahren, deren Auswirkungen letztlich wesentlich geringer sind, als Aufhebens um sie gemacht wird. Der gesunde Mensch fürchtet sich heute mehr vor einem qualmenden Aschenbecher unter freiem Himmel, als vor Haushalts- oder Verkehrsunfällen.
In einer nahezu sicheren Gesellschaft verwundert es, wie viel Angst vorherrscht und eben auch, wovor die Leute Angst haben. Deshalb wirken noch so restriktive Maßnahmen populär, sie halten die zerbrechliche Illusion von Sicherheit aufrecht. Und nur dieses Sicherheitsversprechen kann den arbeitenden, sparenden, raffenden Bürger seines gerechten Lohnes versichern. Im Angesicht dessen, was er zu verlieren hat, erscheint ihm Freiheit weniger als Perspektive sondern vielmehr als Bedrohung.
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