Gonzosophie
19. Februar 2010
Bahnhof
gonzosophie | 19. Februar 10 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'

Disteln wuchern zwischen aufgesprengtem Asphalt, verrostetes Eisen daneben und darunter Balken, mit Bolzen an die Erde geschlagen. Augen liegen verschlafen darauf und tasten sich vor zur perforierten Schalterscheibe. Dies ist der Bahnhof – erbaut von Menschen für Maschinen. Nur ein paar hölzerne Bänke haben sie sich gegönnt, fest in die Mauern geschraubt.
Bölke steht an der Begrenzung, die mit Neon beschienen wird wie alles hier. 18 Stunden am Tag fahren die Züge, 8 pro Stunde auf 6 Gleisen. Selbst die Fahrgastzahl bleibt gleich, versteht sich von selbst. Sonst könnte man auch den Schaffner fragen. Menschenmüde schrägt er neben den stehenden Waggons. Für ihn bedeutet dieser Ort nur etwa 20 Minuten seines Tages. Ein Name wie all die anderen. Auswendig weiß er sie zu sagen: Lünen, Borghausen, Esch.
Nichtssagende Punkte auf Linien, die das Land zergliedern. Bölke sieht auf den Plan, der öffentlich aushängt. Einer dieser Züge nennt sich Metronom. „Passend“. Doch dann tut jemand einen Seufzer. Ein Clown – große Schuhe, Blume am Revers und Schminke unter den Augen. Er setzt seine Mütze ab und fährt sich durch die krausen Haare. Eine Reise tun. Nur weg von hier. Von diesem Ort wie all die anderen; monoton und schlecht bestückt mit immer gleichen Plastikbeschilderbäumen. Zeitschriftenregale dort. Bier gibts überall.
Es zischt und hält sich an. Blutet Menschen in die Masse, die am Bahnsteig steht. Doch bleibt für kurz ein Stück von Ziel und weit, weit weg. Bölke steigt ein. Er sieht in jedes Eck und öffnet jedes Fach. Dann nimmt er leere Dosen aus dem Müll. Behutsam legt er sie in seine große Tasche. Es bleibt ihm nicht viel Zeit an einem kleinen Bahnhof so wie diesem. Es ist erst Dienstag und die Woche tief.
Längst zu spät, macht jeder nur, was ihm zu tun gegeben ist. Und hieß es auch, man nimmt sich einen Strick zum Hals. Doch sehr daran gewöhnt ist man, zu leben. Deshalb kommt alles, wie es kommen muss.
Glasflaschen bringen nichts, die sind das Tragen kaum nur Wert und Bölke dafür sich zu schade. Sonst eigentlich ein guter Job, manchmal findet man auch Sachen andrer Art im Polsterspalt, ganz hinten im Waggon. Die Menschen sind hier recht vergesslich und ihre Hast dem Orte angemessen.
Ein Zug kommt nie zu früh, braucht stets zu lang. Weshalb dient er so oft als schmutzige Metapher? Bölke lacht über sich selbst. Ja schlau zu sein, intelligent, kann sich nur wünschen, wer selbst dumm ist. Dumm zu sein kann sich nur wünschen, wer selbst dumm ist. Und so hat jeder jederzeit sein Unglück in der Hand.
Der Zug fährt an. Bölke vergeht das Grinsen. Zu langsam - selbst für das hier ist er es und lachen kann schon wieder nur der Schaffner: „Teures Hobby ham‘ se da.“ Er hat wohl Recht.

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23. Januar 2010
Neujahr
gonzosophie | 23. Januar 10 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'

Sollte man jemals Anlass dazu finden, dann schreibe man von mir: Er tat sich schwer mit Allem, Wenige taten sich schwer mit ihm. Und er hatte ein reines Gewissen, bei Gott. Ich habe meinen Frieden mit Allen gefunden, längst nicht mit Allem und doch mit mir selbst. Ich tat wozu ich im Stande, wenn auch mein Können begrenzt, so war es doch da und ich sah, dass es gut war.
Jetzt hintergehe ich mich: Mein Selbst streift jede Ordnung ab, wird bloßes Sein und mehr als das. Viel mehr als Nichts, dass mir Voraussetzung gewesen. Ich bin im Flow. Eher noch: Es fließt etwas. So gibt sich Mannigfaltigkeit, wenn niemand da ist, der sie unternimmt. Ein substanzieller Wackelpudding: Gott, der keine Namen weiß. Da lässt sich zeitlos zwar nicht denken, aber sein = Ich, das ist nicht frei von Etwas. Nein, Freiheit selbst ist – Es.
Bin ich nun etwas anderes? Unmöglich darauf ist die Antwort wie auf jene Frage, wie es war, als ich da wurde, wer ich bin. Werden, das ist Nichts, das bleibt. Sein, das Ende in sich trägt – wie jeder Mensch den Tod. Dies Sein, das niemals wird, bleibt auch das Werden, das nicht ist.
Und alles geht vorbei.

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18. April 2009
Gedankenspiele
gonzosophie | 18. April 09 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'

Der Mann saß am Fenster. Die Frau an ihrem. Draußen war es längst dunkel geworden. Wie einfach doch die Sprache ist, dachte er, ein bloßes t macht die Liebe zur Vergangenheit. Wäre das Denken doch rein sprachlich. Sie dachte an viele Dinge, nicht aber an Liebe. Schon rein sprachlich lehnte sie dieses Wort ab. Der Mann ging an die Luft. Er trank um sich an seinen besoffenen Gedanken zu berauschen. Die Luft benötigte er in erster Linie um zum atmen (Kathartischer Ricorso). Sie trank nicht. Sie trank nicht mit ihm. Sie dachte nicht daran, mit ihm zu trinken. Sie dachte nicht an ihn. Er dachte darüber nach, was sie wohl am liebsten trinkt. Nach einer Stunde kam er an ein künstliches Gewässer. Ein Naherholungsgebiet - auch für ihn. Atem lassen, kopfüber, trinken. Seine Gedankenspiele waren immer recht morbide gewesen. Sie dachte da eher praktisch. Klingen sind Werkzeuge, keine Lösungen und die Menschen waren es doch, die töteten. In den meisten Fällen taten sie das in einem gegenseitigen Verhältnis. Solche Arbeitsteilung ist sozialer Nexus der Menschheit. Eigentlich war die Geschichte längst passé. Nur seine Gedanken führten sie weiter, knüpften das Alte in die Gegenwart, ununterbrochen. Er starrte auf das Wasser. Sie hatte sich längst schlafen gelegt. Er wollte nichts als schlafen. Achtlos lief er zurück nach Hause. Trat gegen Unrat auf dem Bürgersteig und wechselte häufig die Straßenseite. Autos erfassten ihn nicht, wenig war noch in der Lage, ihn zu umgreifen. Längs verlief ein flacher Straßengraben, dort setzte er sich an die Böschung. Er zündete eine Zigarette. Schließlich legte er seine Kleider ab und badete in Selbstmitleid.

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29. März 2009
Wenn der Tag am nächsten ist.
gonzosophie | 29. März 09 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'
Schreibe auf: Todgeweihter sucht Frau fürs Leben. Beides stimmt nicht. Schlafwandler wünscht Gesellschaft für lange Wanderungen - auch schön. Zuletzt vielleicht: Gesucht wird Fleisch auf Knochen zwecks wahrer Poesie. Markant genug.

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25. Januar 2009
Klotzwater, ein historischer Roman I – II
gonzosophie | 25. Januar 09 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'

Da durch die Deaktivierung der Kommentare im alten Blog und deren gänzlicher Verlust im neuen die Geschichte um Oberleutnant Bölke und seine Recken nicht länger einsehbar ist, habe ich mich entschlossen, sie erneut einzustellen. Ich hab außerdem noch eine kleine Fortsetzung geschrieben, die anbei gefügt ist. Viel Spaß damit.

<„Ja!“ rief sie aus, „ein Maler, das muß es wohl sein, denn sie sind weder alt noch vornehm genug, um dergleichen Szenen zu bedürfen.“>
(Goethe, Briefe aus der Schweiz)

Der Himmel war von Blau bedeckt und die Sonne brannte auf ihn nieder. Vom Ende der Straße war des schmerzgetränkte Jaulen eines Hundes zu hören, dazu lautes Gekreische. Bölke trat mit Wucht gegen die Tür, blickte sich draußen um und stampfte in Richtung des Lärms. Der Anblick widerte ihn an. In der Mauerecke zwischen zwei Häusern lag zusammengekauert der Körper einer alten Dogge. Um sie herum standen vier junge Burschen und droschen mit Latten, die sie wohl aus den Trümmern der Bäckerei gezogen hatten, auf den nun bereits toten Hund ein. Dabei feuerten sie sich gegenseitig an, dass aufgeplatzte Fleisch des Tieres weiter zu zerschmettern. Stücke von schwarzem Fell hingen an den Nägeln, die hier und dort aus dem Holz ragten. Unter ihren wütenden Schreien hörten die Jungen weder Bölkes Schritte, noch das Durchladen seiner Dienstpistole. Als der erste zusammensackte, änderte das noch nichts an dem Mordglanz in ihren Augen. Die Schläge hörten erst auf, als der Kopf des zweiten zu explodieren schien. Dass Hirnmasse und Schädelsplitter nun plötzlich in Richtung des Hundes und nicht aus jenem heraus spritzten, ließ die beiden sich erschrocken umsehen. „Macht, dass ihr nach Hause kommt!“ herrschte Bölke sie an und schickte ihnen noch ein paar ungezielte Schüsse mit auf den Weg, bevor er zurück zur Baracke stiefelte.
„Verkommenes Dreckspack...“ murmelte er, als er die Tür hinter sich schloss. „Was war denn los?“ fragte Meier, der sich gerade die Hosenträger über seine Schultern streifte. Sein Blick drückte recht deutlich aus, was Bölke von Meier hielt. Doch jener wäre nie im Stande dazu gewesen, diesen Blick zu deuten. Aus einer Ecke drang ein Wimmern. „Lebt die etwa noch?“ raunte Bölke den dicklichen Mann in seiner dennoch zu groß geratenen Uniform an. Der stotterte nun irgendetwas von Kooperation und weichen Haaren. Bölke griff wortlos nach seiner Pistole, sie brachte jedoch mit jedem Abdrücken nur mechanisches Klicken hervor. „Verdammtes Dreckspack...“ murmelte er noch einmal und steckte die P08 zurück ins Holster, während er seinen Penis aus der Hose zog. „Naja, uns gehen langsam die Untermenschen aus. Wird Zeit, dass die Front wieder verlegt wird.“ Seine Stimme schlug nun den gewohnten Befehlston an: „Meier, treiben sie ne Karre auf, meinetwegen auch ein Krad, Hauptsache weg hier. Und holen sie den Leutnant in spe, der kann hier zur Abwechslung auch mal die Scheiße wegräumen.“ Meier straffte seine Haltung. „Jawohl Herr Oberleutnant!“ stieß er hervor, drehte sich auf der Stelle um und ging. Bölke sah ihm zur Tür hinaus nach und schüttelte den Kopf. Er goss sich einen Wodka ein, während er mit der linken Hand langsam seine Vorhaut vor und zurück schob. Nun musste er doch etwas lächeln.

Exploration, dachte Bölke, das Streben nach Glück. Er schlug gegen die Sicherung der MP, die sich mit einem lauten ‚Schnack‘ löste. „Jedem das seine“, rief er den Leuten zu. Dann schoss er das Magazin leer. Die rauchende Mündung sank nach unten. „Weg mit denen.“ Der Uffz nickte.
Bölke war ein Mann der Tat, trotzdem waren ihm diese Erschießungen zuwider. Er sah darin keinen Sinn - es traf ja doch nie die richtigen. Leid tat es ihm dennoch nicht, Befehl war Befehl und niemals grundlos. Heute Morgen hatte es einen Gefreiten beim Austreten erwischt. „Nicht mal mehr in Ruhe scheißen lässt sich hier!“, sagte der Wachhabende, der die Leiche fand. So ließ sich kein Krieg führen, begründete der Major seine Entscheidung. Für das Erschießungskommando fuhr heute Abend ein Sondertransport in den Puff. Fragen blieben deshalb keine offen. Bölke löste die Haltemutter und nahm den Abzug vom Lauf. Er reinigte und fettete alles gründlich. Draußen standen einige Einheimische, die sich wohl für irgendetwas freiwillig meldeten. Räumungsarbeiten oder dergleichen. Wen interessierte das schon. 12 Wochen waren sie nun schon hier, bald würde es kälter werden und an Vorwärts war nicht zu denken. Wenigstens fehlte es nicht an Schnaps und Tabak. Den Männern machte es das Gammeln leicht. Und das Töten, wenn es denn dazu kam. Meistens war zum Töten gar kein Anlass. Tagelang standen sie nur Posten, liefen die Feldwege Patrouille, auf und ab wie auf dem Exerzierplatz. Manchmal platzte dabei einem das Gesicht weg oder die Brust zerbarst. Heckenschützen waren ein ständiges Problem und ihr Kaliber .50 demoralisierte die Truppe. Dann ließ man ein paar Leute abknallen, doch das half nichts. „Dies Pack wird schon noch anständig!“, brachte der Major einmal als Trinkspruch. Bölke war da anderer Meinung. Was wollten sie überhaupt hier? Der Sinn der ganzen Unternehmung war ihm nie aufgegangen. Weder gab es hier Güter noch Positionen von materiellem oder strategischem Wert. Manchmal glaubte er, sie alle seien vom Oberkommando lediglich deshalb hier stationiert worden, weil am Arsch der Welt ihre Methoden kaum auffielen. Die Strategie hatte sich wohl geändert. Erst der Drill, dann ein paar Räumungsbefehle und nun seit Monaten das hier. Da hätte man ja gleich verweigern können. Bölke goss sich vom Cognac ein und sah dabei zu, wie im Innenhof die Leichen aufgeladen wurden. Ein Besuch im Puff war wenigstens eine nette Abwechslung. Nicht das man es wirklich Puff nennen konnte, die meisten Frauen waren ja nicht einmal bei Bewusstsein. Krieg ist halt Hölle, dachte Bölke, wie schon in Kabul. Er grinste.

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14. September 2008
"Es kommt kein Wandrer mehr des Wegs"
gonzosophie | 14. September 08 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'
Schon seltsam ein Leben zu führen, in dessen Konsequenz es niemanden wundern würde, wenn man es gewaltsam beendete. Doch die Rechnung ist recht simpel: Durch den Tod ist nichts gewonnen, alles verloren. Deswegen kann kein Toter triumphieren. Dadurch ist jeder Ausweg verstellt. Auch der über die Menschen, von denen nur ein Wunschtraum glauben kann, sie seien alle gleich. Mir gleich. Träume, Wünsche können in Erfüllung gehen – solange man die Augen nur geschlossen hält. So lässt sich’s wandeln.

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10. September 2008
Anzeige II
gonzosophie | 10. September 08 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'
Lebenswille abzugeben, scheckheftgepflegt aus Haushaltsauflösung. Einzigartiges Sammlerstück. Kostenlose Verhandlungsbasis. Wenig benutzt, fast neuwertig. Privatverkauf, keine Garantie.

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1. August 2008
Klotzwater - ein historischer Roman.
gonzosophie | 01. August 08 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'
Text steht unter Vorbehalt, deshalb im Kommentar. Lesen wird nicht empfohlen.

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29. November 2007
Protokoll
gonzosophie | 29. November 07 | Topic 'Experimentelle Metaphorik'
Es begab sich am späten Morgen des 12. Januar im Jahre des Herrn 2034, dass ich mich auf den Weg zur Piusgasse in Braunschweig begab. Ich hatte eigentlich kein rechtes Ziel und so setzte ich mich für eine Weile auf die wohlbekannte Parkbank in den Schatten irgendeines uferlosen Buchsbaumbusches. Es war bereits Nacht geworden und das Laub atmete schwer unter der sommerlichen Abendhitze. Ich kramte meinen letzten Komisstabak hervor und stopfte mir die Pfeife. Das ist die Wahrheit. Kleine Rauchwölkchen paffend verlor sich mein Blick in dem Wirrwarr des Wurzelgeästs. Es drängte sich die Frage auf, ob solcherlei Spukgestalten, die sich darin offensichtlich tummelten, wohl existieren mochten. Die Stille des mittäglichen Treibens wurde jäh von den lauten Flüchen eines ehrbaren Bürgers zerrissen. „Holla! He da! Haltet ihn!“ – dies ausrufend wankte er in aller Demut an mir vorbei, seinem atemlosen Ziele zu. Sehr beiläufig alles und nichts im Vergleich zu dem, was mir passiert ist.


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