In den Augen meiner Mitbewohnerin bin ich ein Bauer, denn ich wuchs in einem Dorf auf. Dort gab es Bauern, eine handvoll, deren Erkennungszeichen karierte Hemden in umgürteten Jeanshosen waren. Ich habe niemals Hemden unter Gürteln in Jeanshosen getragen. Dennoch hat mich mein Umfeld geprägt. Ich wollte dort weg.
Meine Sozialisation ereignete sich dementsprechend in der nächstgrößeren Kleinstadt. Ich bin meinen Eltern noch heute zutiefst dankbar, mich dort auf eine konfessionelle Schule geschickt und mir somit die Eingliederung der Gemeindegesamtschule erspart zu haben. Anders als an dieser waren in jenem Hort des Katholizismus nicht nur die Schüler weitaus vielschichtiger: Sie soffen nicht bloß, sie hörten auch Musik. Und gleichwelches Geschlecht, es gab unterschiedliche Frisuren.
Zu meiner eigenen Überraschung wurde ich nach eher schleppendem Auftakt irgendwann recht gut in der Schule. Es war wohl zu der Zeit, in der die meisten Menschen aufgrund ihres hormonellen Haushaltes zumindest hinsichtlich ihrer schulischen Leistung einknicken und dabei Leute wie mich weitaus intelligenter aussehen lassen – der Benotung nach Klassenschnitt sei dank. Frauen brachten mir nie etwas anderes als Frust. Und wer hier liest, der weiß, dass Frust einer der wenigen Motivatoren in meinem Leben ist.
Doch man mag es kaum glauben, die ganze Mittelstufe hindurch war ich der Klassenclown. Mein Hang zur Ironie verfärbte sich erst später ins Tiefschwarze. Ich selbst kann es nicht mehr glauben, aber zu jener Zeit gehörten kanariegelbe Hemden und Shorts mit riesigen Sonnenblumen darauf durchaus zu meiner Garderobe. Dabei blieb es jedoch nicht. Gott sei dank.
Nach meinem Abschluss wechselte ich von der konfessionellen Schule an eine Klosterschule. Dort sammelte ich die wohl seltsamsten und prägenden Eindrücke meines Lebens: Ich traf die ersten Hippies, erhielt meine erste Eins in Religion bei jenem Lehrer, der Marienbildnisse als „Wichsvorlagen für Zölibatäre“ bezeichnete und trug zum letzten Mal Kleidung, die mehr als zwei Farben aufwies. Ein geistig fruchtbares Umfeld - es gab sogar Philosophieunterricht.
Wenn ich heute das Wort "Politeia" lese, muss ich immer an jene Kleinstadt zurückdenken, deren Größe wohl mit der des antiken Athens vergleichbar ist. Und ebenso vergleichbar war die soziale Struktur: Ab einer gewissen Ebene kannte man sich. An jener Schule trafen sich der Sohn des Bürgermeisters, des größten Bauunternehmers und auch des Zahnarztes mit dem kleinen Stadtschlösschen. Nur Sklaven gab es nicht und anders als unter den Geistesgrößen der platonischen Akademie war hier die Lohnarbeit nicht als Gedankentod verschrien. Schließlich wurde man von Lohnarbeitern unterrichtet, von den paar Mönchen einmal abgesehen. Genau wie in Athen jedenfalls, reisten die Schüler mit größeren Karossen an und ab als ihre Lehrer.
Heute frage ich mich manchmal, in welcher Weise mich meine Jugend zu dem gemacht hat, was ich bin. Obschon ich viele grundlegende Gedanken und Ansichten schon mein ganzes Leben zu haben glaube, sollte man sich doch nicht zu leichtgläubig dem eigenen Storytelling hingeben. Hat man nicht schon oft genug den Satz gehört, Prioritäten würden sich ändern? Meiner Erfahrung nach sind es jedoch eher Entschuldigungen, die sich ändern. Prioritäten (z.b. „Ich“ oder „Wir“) bleiben sich meist gleich.
Was die Persönlichkeit prägt sind deshalb vielleicht auch nicht jene Dinge, die man macht. Eher, was man unterlässt. Logisch gesehen, ist das nur Haarspalterei, aber Logik ist nicht alles. Das war leider erst eine meiner späteren Erkenntnisse im Umgang mit Menschen.
Waren das Zeiten? Erstmals der Ehre halber Fingerknöchel gegen Blutergüsse gestaucht. Geladene Teilchen in polarer Lösung. Hormonelle Abstoßung, evolutionärer Magnetismus. Helle Himmel - saug dich satt daran. Heb dich aus der Grauzone. In good condition, not good conditioned. Man lernt nie draus.
Heute steht alles still. Als ich aufstand, war es dazu noch gar keine Zeit. Irgendwie muss ich dem Tag zuvor gekommen sein. So endet die Woche. Mit heißem Tee und kalten Aussichten.
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Verse tragen nicht länger zum Ausdruck, was in Kajal sich malen lässt. Tinte ist immer ungeduldiger und Zeit knapp trotz jeder Langeweile. Doch was soll mich das kümmern. Uns allen ist Schreiben doch, ist Lesen nur Masturbation. So stiehlt sie die Zeit, hilft bei Bedarf, zu lösen, bewahrt vor Schlimmerem und steigert das Selbst für den Moment. Masturbation ist unzeitgemäß, wo jeder mit jedem jederzeit vögeln kann. Wer würde der Masturbation sein Leben noch, wer eine Welt ihr denn opfern? Nur der, der nichts kann, nichts hat als Masturbation.
Man sagt, ich stünde Abseits, man sehe es den wirren Worten an. Man mahnt und malt eine düstere Zukunft. Ich diene als Anschauungsobjekt, als Redefigur (werde nicht so, wie jener). Das Außen verstummt nie. Nicht einmal für Gott.
Ich huste Schleim ab, trage die Zeit im Gesicht. Nur noch Worte werden erwartet, die man absonderlich findet. Isolation, Schwätzer in spe, die Hoffnung längst verloren. Als emotionaler Zigeuner ohne eigenen Raum, Jude der Freundschaft – Endlösung naht. Kredit verbraucht, unwerter Faulpelz. „Ersma arbeiten!“ die Schola derer, die sich ihr Leben erzwingen.
Ich habe von Allem, von Allen mich getrennt. Zunächst von der Zeit, dann von den Menschen, die nach ihr Leben; schließlich von mir selbst, meiner Priorität, die mir fast wichtiger war als die Zeit mit andern Menschen. Nun bin ich daneben. Weiß nur noch, was hätte sein können. Was nicht heißt, dass ich weiß, wie es wird sein können.
Da man Zeit seines Lebens vor dem Nichts steht, wäre es nicht besser gewesen, ihm nie entstiegen zu sein? Jeden Tag gebe ich eine andere Antwort auf diese Frage, jede Nacht stellt sie sich von neuem. Die Wahrheit ist nicht unabhängig von der Zeit und ewig schon gar nicht. Vielleicht ist das Leben bereits das Nichts, vielleicht ist es Kampf gegen dasselbe. Nicht alle Kämpfe kann man gewinnen. Muss man es denn? In jedem Fall habe ich vermehrt Probleme mit der Erzeugung von Schlaf. Oft wache ich auf, die Faust geballt, lässt sich weder öffnen, noch zum Schlagen gebrauchen. Stopp.
Trage deinen Überdruss mit Stolz; kultiviere den Verfall. Lasst meinen Ruin doch gedeihen. Eiterpickel brauchen Wachstum. Quetscht man zu früh, wird alles noch schlimmer. Mich drückt, zwickt es seit Jahren. Die Perspektiven meiner Ausbildung stehen nicht schlecht. Nach Allem habe ich gelernt, dass man nichts lernt. Noch bin ich nicht ausgelernt. Versuche mich weiter; in jeder Zeile. In etwa so:
Als ich jemanden liebte hatte ich etwas, darüber zu schreiben.
Als mich jemand liebte hatte ich etwas, darin zu leben.
Was habe ich nun?
Verbrauchte Worte, abgenutzte Bilder. Wahr ist nur eines darin: Hier ist kein Jetzt.
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Dass ich heute Morgen vergaß die Brille aufzusetzen, selbst als ich das Haus verließ, hatte weniger mit einer plötzlichen Verbesserung der Sehkraft zu tun, die mich die Notwendigkeit jener Krücke vergessen ließ, als vielmehr mit meinem nun schon sehr verschwommenem Verhältnis zum Leben. Unter Strom, gegen den Strom. Dabei stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob mein Alkoholkonsum noch dem Leben dient. Für jeden Charakter gibt es eine ihm besonders entsprechende Droge, die ihn nicht betäubt sondern potenziert. Ich habe die Seele eines Trinkers, daher auch mein Magengeschwür. In diesen Zweig meiner Familie schlage ich aus. Dabei bin ich noch recht trocken, auch umgänglich. Meine Einsamkeit in Bezug auf das haptische Geschlecht liegt meiner aktuellen Einschätzung nach vor allem in meiner Abneigung gegenüber Fahrstuhlfahrten begründet, die ich doch als Kind noch wunderbar fand. Die Tür schließt sich, und öffnet sich an einem ganz andern Ort. Dieser jugendliche Wunsch begleitet mich oft in anbetracht meiner Wohnungstür. Deren Verknüpfung ist jedoch statisch. Naja, noch. Irgendwann fließt alles.
So verhält es sich mit dem Leben: Man kauft Motoröl, Kühlflüssigkeit und Scheibenwischer für knapp 40€ - eine Woche später versagt die Fahrwerksfeder. Dann ist man pleite, voraussichtlich. Es ist ja nicht so, als hätte man Arbeit.
Ganz anders verhielt es sich im außergewöhnlichen Leben des Herrn Aurelius Guldenhammer. Er war der erfolgreichste Krämer in ganz Brabant. Wenn die Einwohner der freien Reichsstädte vom „alten Pfeffersack“ sprachen, so meinten sie stets ihn. Allein sein Verhältnis zu den Frauenzimmern jener Zeit passte nicht so ganz in das Bild seiner ansonsten makellosen Ansammlung kostbarer Errungenschaften. Und hier stimmen unsere beiden, ansonsten völlig verschiedenen Charaktere überein. Es ist schon seltsam, mit welchen Menschen man sich oft in einer Menge vereint sieht. Nicht allein deshalb versuchen sie doch bitte, ein wenig an ihren Eigenschaften zu feilen, denn schließlich werden auch sie einmal durch diese definiert werden.
Man beachte:
Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden.
Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben.
Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.
Selig die Barmherzigen; denn sie werden Erbarmen finden.
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.
Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.
Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden; denn ihnen gehört das Himmelreich.
Selig seid ihr, wenn ihr um seinetwillen beschimpft und verfolgt und auf alle mögliche Weise verleumdet werdet.
Ich passe nicht dazu. Selbst nach dieser langen Ausbildung, die nichts als Homogenisierung bedeutet. Jeder hat sich den gleichen Schemata anzupassen; Auslandserfahrungen, Praktika, Fernbeziehung; Mobilität. Marktwertsteigerung auf allen Gebieten. Natürlich ist dabei jeder unterschiedlich. Der eigene Stil, ein wenig Sinn für Extravaganz und Sport, des guten Körpergefühls wegen – und natürlich bleibt man unpolitisch, wenn auch politisch unzufrieden. Das ist Understatement; Sakko und gepanschtes Bier; happy hour. Die schönste Zeit des Lebens, mal wieder, unter Vorbehalt. Meine Generation; der aktuelle „Mensch“.
Er saß dort nun einige Tage schon und betrachtete die Bücherstapel mit Unwillen und Freude. Planlos griff er heute dieses heraus, hatte er gestern in jenem einige Zettelchen zurückgelassen. Bald wandte er sich wieder ab, wischte mit einem feuchten Lappen über den Tisch, an dem er so oft Kaffee trank und Zeit. Die Stapel umstanden ihn dabei recht warm. Sie wiesen seine Gedanken an sich zu ordnen, für den Tag etwa.
Schalter betätigt man selten bewusst. Man denkt an das Licht und schon ist es hell. Ihr ging es so auch mit ihrem Rechner, den sie ohne jede Erwartung einzuschalten gewohnt war. Meist durchwanderte sie dann die Bookmarks, schaute in den Messenger, trank ihren Kaffe. Das Handy klingelte und erinnerte sie daran, die Pille zu nehmen.
Ein Novalis zu sein und ein Heim zu kennen, bei Grab und Weib. Kein Kleist bin ich, fatal, sehe ich mich doch oft als Kafka, wozu mir vieles fehlt – eine Frau etwa, die meine Briefe läse. Um Notiz zu nehmen von meiner Isolation. Ich sieche einsam. Im billigsten Sinne des Wortes mache ich mir rar, mauere die Fenster zu mit Büchern. Ich lese mich in Kriege ein, die dem Sieger noch den Tod bedeuteten. Versuche dadurch auch meine Nächte mit Leben auszuleuchten.
Jeder von ihnen sah gerne diese Filme. Eine Welt für sich, in der Charaktermasken noch von Menschen getragen wurden; die Rollen sich nicht selber spielten. Entgegen der üblichen Sitte gingen hier die Frauen mit ihren Kostümen spazieren. Die Kulissen waren leicht zu durchdringen. Die „Realität“ ist dagegen nicht einmal von minimalistischem Reiz. Nur monoton und minimal - ich selbst bin zu komplex, nicht die Mannigfaltigkeit der Banalitäten und Banalen, die mich umgibt. Und sie glauben mich beim Namen nennen zu können.
Wo ist nur das du geblieben? Irgendwo zwischen Koffein und Codein, dem Zittern elektrischer Störfelder. Wir wären sicher kein schönes Paar gewesen; aber ein pures.
Er faltete den Zettel wieder zusammen und legte ihn zurück in den Umschlag. Mit seinen trockenen Lippen befeuchtete er die Klebekante der Lasche und drückte sie fest gegen den Briefkörper. In der Luft lag noch Geruch von Asche und Weißwein, an seinen Händen schwarze Tinte. Das sind die Spuren, die es hinterließ.