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Ich liebe Geschichte....
gonzosophie | 12. April 08 | Topic 'kommen wir nun zu etwas ganz anderem ...'
"Der Antrieb erfolgt von Hand, durch ein Uhrwerk oder einen Elektromotor. Es wurden auch Grammophone mit Heißluftantrieb gebaut, allerdings sind fast alle dieser Geräte verbrannt."
Herr Siel V
gonzosophie | 11. April 08 | Topic 'kommen wir nun zu etwas ganz anderem ...'

Fatale Weltsicht. Herr Siel vertrat von Anfang an die Meinung, eine beachtenswerte Geschichte verdiene auch ein glückliches Ende.
2 Die Wöchnerinnenkarte
gonzosophie | 11. April 08 | Topic 'Fortsetzung folgt'
Wann hatte ich angefangen mich auf diese Weise für Bücher zu interessieren? Ich weiß noch eines Tages saß ich in einem Zug, auf der Rückfahrt von einem Familienfest. Bei mir hatte ich eine Schillerbiographie, die ich günstig per Internet erstanden hatte. Ich war begeistert über meine Ersparnis bei diesem Kauf, vor allem da das Buch in tadellosem Zustand war. Man konnte das Druckaroma noch riechen, die Kanten waren messerscharf. Ich hatte mit der Biographie schon einige Zeit verbracht, als beim Umblättern plötzlich ein buntes Kärtchen heraus fiel. Es war keiner der gewohnten Werbeprospekte, keine Antwortkarte oder dergleichen. Es war die Grußkarte einer Mutter aus dem Wochenbett. Zuerst etwas verlegen, betrachtete ich das Frontmotiv unschlüssig, doch schließlich las ich die Karte. Der Text war kurz und nicht sonderlich überraschend: „Mir und dem Kleinen geht es sehr gut, wie geht es dir?“, etwas in der Art. Ich konnte sie dennoch nicht bewältigen. Diese Karte passte so gar nicht in dieses Buch. Ans Weiterlesen ließ sich nicht denken, bis ich nicht eine halbwegs plausible Verknüpfung zwischen beidem hatte. Bevor ich dies allerdings hätte schaffen können, hatte der Zug bereits mein Ziel erreicht.
Doch die Karte blieb auch zuhaus mein Lesezeichen. Ich las sie immer wieder durch, zwischen den Kapiteln, in Denkpausen. Welche Verbindung hatte die Wöchnerin zu diesem Buch? War die Adressaten auch die Leserin? Was brachte so jemanden zu meinem geliebten Schiller? Was hatte ein Mensch, den solch ein anderer Mensch kennt, wohl an dieser, an jener Stelle des Buches gedacht? Den Seiten selbst war nichts anzumerken. Nicht ein einziger Strich, nichts ausradiert, nichtmal ein Eselsohr. Wenn es eine Sie gewesen war, dann eine ziemlich penible und mit Erfahrung bei der Werterhaltung.
Irgendwie war mir diese Situation unangenehm. Was war zu tun? Sollte man der Dame ihre Karte zurück senden mit schönen Grüßen an den Kleinen, oder würde ihr dies peinlich sein, vielleicht sogar Angst machen? Ich kam zu dem Schluss, dass derlei Unternehmungen kaum einen Wert haben würden. Dennoch konnte ich die Karte nicht einfach wegwerfen, selbst als ich das Buch gelesen und meinerseits durch Unterstreichungen und Kommentare gezeichnet hatte. Sie gehörte untrennbar hinzu, auch wenn ich nicht genau erklären konnte wieso.
So sehr dachte ich auch gar nicht weiter darüber nach. Nur las ich plötzlich die Bücher aus der Universitätsbibliothek anders als zuvor. Ich begann mich nicht mehr sonderlich über noch so ausufernde Unterstreichungen und Kritzeleien zu ärgern, als sie vielmehr mit Interesse und Erwartung zu verfolgen. Ich las Text und Kommentar parallel, versuchte beides zur Deckung zu bringen, herauszufinden durch was für eine Vielzahl von Händen diese Bücher vor mir gegangen sein mochten. Teilweise hatten sie für mehr als 50 Jahre Studenten als Grundlage ihres Fachwissens gedient, hatten zig Kilometer in Taschen und Rucksäcken hinter sich und wussten nur zu gut, wie Kaffee schmeckt.
Leider gibt es wenig so lieb- und einfallslos durchgearbeitete Bücher wie die eines Universitätsinstituts. Ich habe nie verstanden, warum Leute genau das neben den Text schreiben, was wortwörtlich dort schon steht. Aber nicht nur, dass sich kaum Persönliches findet, selbst die Arbeitsnotizen sind von einer Banalität, die durch den Hang zum Unterstreichen jedes dritten Wortes nur noch verdeutlicht wird - das Unterkringeln von Fremd- und Fachwörtern – so etwas kann auf Dauer nicht fesseln.
Aus den Unibüchern konnte man nur die interessenlose Verzweiflung lesen, mit der mancher Student sie in Vorbereitung eines Referats durchwühlt hatte, mit Unterstreichungen versuchend sich zumindest Brocken des Textes längerfristig zugänglich zu machen. Und gerade deshalb waren sie durch so viele Hände gegangen, dass sich selbst auf dieser simplen Ebene keinerlei Zusammenhang mehr erkennen lies. Es fehlte das, was diese so intime Karte innerhalb eines völlig sterilen Buches geschaffen hatte: Eine Geschichte
Doch die Karte blieb auch zuhaus mein Lesezeichen. Ich las sie immer wieder durch, zwischen den Kapiteln, in Denkpausen. Welche Verbindung hatte die Wöchnerin zu diesem Buch? War die Adressaten auch die Leserin? Was brachte so jemanden zu meinem geliebten Schiller? Was hatte ein Mensch, den solch ein anderer Mensch kennt, wohl an dieser, an jener Stelle des Buches gedacht? Den Seiten selbst war nichts anzumerken. Nicht ein einziger Strich, nichts ausradiert, nichtmal ein Eselsohr. Wenn es eine Sie gewesen war, dann eine ziemlich penible und mit Erfahrung bei der Werterhaltung.
Irgendwie war mir diese Situation unangenehm. Was war zu tun? Sollte man der Dame ihre Karte zurück senden mit schönen Grüßen an den Kleinen, oder würde ihr dies peinlich sein, vielleicht sogar Angst machen? Ich kam zu dem Schluss, dass derlei Unternehmungen kaum einen Wert haben würden. Dennoch konnte ich die Karte nicht einfach wegwerfen, selbst als ich das Buch gelesen und meinerseits durch Unterstreichungen und Kommentare gezeichnet hatte. Sie gehörte untrennbar hinzu, auch wenn ich nicht genau erklären konnte wieso.
So sehr dachte ich auch gar nicht weiter darüber nach. Nur las ich plötzlich die Bücher aus der Universitätsbibliothek anders als zuvor. Ich begann mich nicht mehr sonderlich über noch so ausufernde Unterstreichungen und Kritzeleien zu ärgern, als sie vielmehr mit Interesse und Erwartung zu verfolgen. Ich las Text und Kommentar parallel, versuchte beides zur Deckung zu bringen, herauszufinden durch was für eine Vielzahl von Händen diese Bücher vor mir gegangen sein mochten. Teilweise hatten sie für mehr als 50 Jahre Studenten als Grundlage ihres Fachwissens gedient, hatten zig Kilometer in Taschen und Rucksäcken hinter sich und wussten nur zu gut, wie Kaffee schmeckt.
Leider gibt es wenig so lieb- und einfallslos durchgearbeitete Bücher wie die eines Universitätsinstituts. Ich habe nie verstanden, warum Leute genau das neben den Text schreiben, was wortwörtlich dort schon steht. Aber nicht nur, dass sich kaum Persönliches findet, selbst die Arbeitsnotizen sind von einer Banalität, die durch den Hang zum Unterstreichen jedes dritten Wortes nur noch verdeutlicht wird - das Unterkringeln von Fremd- und Fachwörtern – so etwas kann auf Dauer nicht fesseln.
Aus den Unibüchern konnte man nur die interessenlose Verzweiflung lesen, mit der mancher Student sie in Vorbereitung eines Referats durchwühlt hatte, mit Unterstreichungen versuchend sich zumindest Brocken des Textes längerfristig zugänglich zu machen. Und gerade deshalb waren sie durch so viele Hände gegangen, dass sich selbst auf dieser simplen Ebene keinerlei Zusammenhang mehr erkennen lies. Es fehlte das, was diese so intime Karte innerhalb eines völlig sterilen Buches geschaffen hatte: Eine Geschichte
1 Das eigenste Buch
gonzosophie | 10. April 08 | Topic 'Fortsetzung folgt'
Er war ein umgänglicher Mensch. Er las viel, nicht zuviel, aber doch gelegentlich, wie er sagte. Und er sprach gerne, leider meist mit sich selbst. Herr Siel, nicht gerade der Name eines Helden und damit sehr passend für ihn. Siel wohnte am Rande einer fast noch kleinen Stadt in einem noch kleineren Appartement. Dort saß er oft an seinem Fenster, sah der Sonne zu und den Menschen, die sich ihr aussetzten. Er selbst war blass. Wenn er doch einmal raus ging, so hastig und motorisiert.
Er besuchte dann meist eines der zahlreichen Antiquariate der Innenstadt. Geisterhäuser, wie er sie nannte. Dort war er niemals hastig; langsam schritt er durch die Reihen. Seine Bewegungen gravitätisch – den Objekten angemessen. Bücher, sein Blick suchte nach den verschlissenen, den abgegriffenen und ausgelesenen Exemplaren. Gerade auf jene, die beinahe schon aussortiert worden waren, hatte er es abgesehen. Klassiker meist, oder Romane zum Spottpreis. Obwohl ihn keine finanziellen Motive bewegten, er kaufte sie. Anschließend packte man sie ihm vorsichtig ein und so nahm er sie mit nach Haus.
Sein Apartment war alles andere als groß, aber bot doch Platz für eine Vielzahl von Regalen. Jeder Meter Wand gab dutzenden Brettern und Schränkchen halt. Es war ein beeindruckendes Bild, denn vom Eingang aus sah man nur Bücher. Er hatte den Raum durch mehrere Regalreihen geteilt und um zum Fenster zu gelangen, musste man erst sämtliche Buchmeter durchwandern.
Das Bett, der Kleiderschrank - alles bis auf die Kochzeile hatte weichen müssen. Seine Kleider lagen in einem kleinen Pappkarton am Fuße eines der Regale, in dessen Pfosten und in der gegenüberliegenden Wand er jeweils schwere Haken befestigt hatte. Wenn er müde wurde spannte er seine Hängematte auf und schlief wohlbewacht schwebend zwischen seinen Gefährten. Dabei lag meist eines der Bücher auf seiner Brust.
Doch an Schlaf konnte er nun nicht denken. Nervös nahm er die soeben erstandenen Werke aus seiner Tasche: Die Kritik der reinen Vernunft, Schillers Räuber und zu guter letzt ein Jugendbuch aus den 70ern. Er blätterte noch einmal kurz durch alle drei. In der Kritik waren, wie üblich, hauptsächlich Unterstreichungen, hier und da ein paar Randnotizen oder ein Verweis. Die Räuber hatte jemand ebenfalls eher lieblos kommentiert, Ausrufezeichen waren das Höchstmaß an Empathie hier, doch eine Notiz im Buchdeckel hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Eine persönliche Widmung - offensichtlich war dies ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Die Kritik stellte er zu den anderen Exemplaren, die Räuber ebenfalls zu ihresgleichen, das Jugendbuch aber hatte noch keinen ähnlichen Vertreter. Mit ihm setzte er sich ans Fenster. Normalerweise interessierte er sich nicht so sehr für die Jugend.
Wie zu erwarten war, versprach der Klappentext eine völlig banale Geschichte. Solche Bücher trugen meist nur wenig individuelles Leben mit sich, wurden nach einmaligem Lesen und etwas Lagerzeit verschenkt, verscherbelt, weggeworfen. Nicht selten hatten sie jahrelang als einsame Vertreter ihrer Art in Kinderstuben oder Jugendzimmern gestanden. Als Zeichen guten Willens zu Geburtstag oder Firmung erhalten, mussten sie dort eine gewisse Zeit stehen bleiben, bis Staub auf die Sache gefallen war. Manchmal dienten sie weiterhin als Alibi, als Betrachtexemplare - ein kleiner Bücherzoo um nicht für lesefaul gehalten zu werden. Das sah man ihnen dann auch an. Außen grau, jedoch mit starren, altjungferlichen Seiten. Unberührt und unbeschrieben, nur von Maschinen beachtet worden, verblühten sie ohne dass sie jemand je betrachtet hätte.
Doch dieses hier war offensichtlich anders. Der Einband zeigte deutlich Tragespuren. Jemand musste es in seiner Tasche oft mit sich herum getragen haben. Auch hatte man auf dem Deckel herumgemalt. Was genau, das war nicht mehr erkennbar. Siel schlug das Buch auf.
Die angegilbten Seiten hatten geatmet. Auf den ersten Blick sah er Marginalien an beiden Seiten neben den Text geschrieben, ja sogar über und unter ihn. Sie waren teilweise ganz sorgfältig, manchmal jedoch in aller Eile hingekrakelt, brachen ab. Hier und dort war unterstrichen worden. Etwas hatte er bei diesem Genre jedoch genau so auch erwartet: Die Schrift ließ auf eine Frau schließen. Auf ein Mädchen vielleicht.
Er besuchte dann meist eines der zahlreichen Antiquariate der Innenstadt. Geisterhäuser, wie er sie nannte. Dort war er niemals hastig; langsam schritt er durch die Reihen. Seine Bewegungen gravitätisch – den Objekten angemessen. Bücher, sein Blick suchte nach den verschlissenen, den abgegriffenen und ausgelesenen Exemplaren. Gerade auf jene, die beinahe schon aussortiert worden waren, hatte er es abgesehen. Klassiker meist, oder Romane zum Spottpreis. Obwohl ihn keine finanziellen Motive bewegten, er kaufte sie. Anschließend packte man sie ihm vorsichtig ein und so nahm er sie mit nach Haus.
Sein Apartment war alles andere als groß, aber bot doch Platz für eine Vielzahl von Regalen. Jeder Meter Wand gab dutzenden Brettern und Schränkchen halt. Es war ein beeindruckendes Bild, denn vom Eingang aus sah man nur Bücher. Er hatte den Raum durch mehrere Regalreihen geteilt und um zum Fenster zu gelangen, musste man erst sämtliche Buchmeter durchwandern.
Das Bett, der Kleiderschrank - alles bis auf die Kochzeile hatte weichen müssen. Seine Kleider lagen in einem kleinen Pappkarton am Fuße eines der Regale, in dessen Pfosten und in der gegenüberliegenden Wand er jeweils schwere Haken befestigt hatte. Wenn er müde wurde spannte er seine Hängematte auf und schlief wohlbewacht schwebend zwischen seinen Gefährten. Dabei lag meist eines der Bücher auf seiner Brust.
Doch an Schlaf konnte er nun nicht denken. Nervös nahm er die soeben erstandenen Werke aus seiner Tasche: Die Kritik der reinen Vernunft, Schillers Räuber und zu guter letzt ein Jugendbuch aus den 70ern. Er blätterte noch einmal kurz durch alle drei. In der Kritik waren, wie üblich, hauptsächlich Unterstreichungen, hier und da ein paar Randnotizen oder ein Verweis. Die Räuber hatte jemand ebenfalls eher lieblos kommentiert, Ausrufezeichen waren das Höchstmaß an Empathie hier, doch eine Notiz im Buchdeckel hatte seine Aufmerksamkeit erregt. Eine persönliche Widmung - offensichtlich war dies ein Geburtstagsgeschenk gewesen. Die Kritik stellte er zu den anderen Exemplaren, die Räuber ebenfalls zu ihresgleichen, das Jugendbuch aber hatte noch keinen ähnlichen Vertreter. Mit ihm setzte er sich ans Fenster. Normalerweise interessierte er sich nicht so sehr für die Jugend.
Wie zu erwarten war, versprach der Klappentext eine völlig banale Geschichte. Solche Bücher trugen meist nur wenig individuelles Leben mit sich, wurden nach einmaligem Lesen und etwas Lagerzeit verschenkt, verscherbelt, weggeworfen. Nicht selten hatten sie jahrelang als einsame Vertreter ihrer Art in Kinderstuben oder Jugendzimmern gestanden. Als Zeichen guten Willens zu Geburtstag oder Firmung erhalten, mussten sie dort eine gewisse Zeit stehen bleiben, bis Staub auf die Sache gefallen war. Manchmal dienten sie weiterhin als Alibi, als Betrachtexemplare - ein kleiner Bücherzoo um nicht für lesefaul gehalten zu werden. Das sah man ihnen dann auch an. Außen grau, jedoch mit starren, altjungferlichen Seiten. Unberührt und unbeschrieben, nur von Maschinen beachtet worden, verblühten sie ohne dass sie jemand je betrachtet hätte.
Doch dieses hier war offensichtlich anders. Der Einband zeigte deutlich Tragespuren. Jemand musste es in seiner Tasche oft mit sich herum getragen haben. Auch hatte man auf dem Deckel herumgemalt. Was genau, das war nicht mehr erkennbar. Siel schlug das Buch auf.
Die angegilbten Seiten hatten geatmet. Auf den ersten Blick sah er Marginalien an beiden Seiten neben den Text geschrieben, ja sogar über und unter ihn. Sie waren teilweise ganz sorgfältig, manchmal jedoch in aller Eile hingekrakelt, brachen ab. Hier und dort war unterstrichen worden. Etwas hatte er bei diesem Genre jedoch genau so auch erwartet: Die Schrift ließ auf eine Frau schließen. Auf ein Mädchen vielleicht.
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