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Simplicissimus (Teil 2) - Innere Sicherheit
gonzosophie | 23. Juli 07 | Topic 'Minima Memoralia'
Hier liegt das Problem: Wenn man sich die heutige Konnotation des Begriffes „Eigenverantwortung“ ansieht, muss man bemerken, dass dieser Terminus öffentlich ausschließlich als finanzieller auftaucht. Auch fällt einem die seltsame Trennung von Verantwortung und Freiheit auf, die man dabei heute voraussetzt. Man ist verantwortlich, für Dinge, die man nicht beeinflussen kann. Dabei werden Freiheiten unterstellt, die man gar nicht besitzt, aber das ist nur ein Nebenschauplatz.
Freiheit wird mit Sicherheit kontrastiert, letztere ist zum Leitmotiv in Wirtschaft, Gesellschaft - ja überall geworden. Freiheiten und Selbstbestimmung sind heute nicht nur nicht erreicht, ihnen wird ausgewichen, wo es nur geht. Als symptomatisch kann die Debatte um die innere Sicherheit gelten. Dort wurden massive Restriktionen gegen alle Bürger hingenommen, ohne dass diese durch akute Bedrohungen oder wenigstens präventive Erfolge gerechtfertigt worden wären. Zur Erinnerung: Rasterfahndung, Telefondatenspeicherung, Lauschangriff, verstärkte Videoüberwachung, PC Durchsuchungen, Geruchsproben, finaler Rettungsschuss – der einzige groß angelegte Anschlag in Deutschland wurde letztlich durch die Unfähigkeit der Bombenbauer verhindert. Immer wieder lässt sich feststellen, dass Terroranschläge, wenn überhaupt, nur durch den Zufall oder klassische Wege, wie etwa aufmerksame Passanten vereitelt werden können.
Dennoch ernten auch die extremsten Vorschläge Lob. Wolfgang Schäuble etwa stellt Überlegungen über den weitmöglichst hergeholten Fall auf, dass deutsche Truppen in Afghanistan Osama Bin Laden aufspüren würden und als einzige die Möglichkeit und nur diese Möglichkeit hätten, ihn per Marschflugkörper zu töten. Für diesen Fall sei unsere Demokratie nicht wehrhaft genug, deshalb müsse das Grundgesetz überprüft, bzw. die präventive Tötung von ‚Gefährdern’ gesetzlich verankert werden. Nun muss man gar nicht darüber nachdenken wie unwahrscheinlich es ist, dass deutsche Sanitärsoldaten zufällig einen Zettel mit der Adresse Osamas Verstecks finden, um eine derartige Initiative auch nur aufgrund der anfallenden bürokratischen Kosten für Wahnsinn zu halten. Und dennoch, es wird in diese Richtung weitergedacht, weitergemacht.
Es ist schon erstaunlich, wie begehrt vermeintliche innere Sicherheit doch ist, was man bereit ist für sie zu geben oder sich antun zu lassen, wo doch der Innenminister selbst so klug ist, keine Garantien geben zu wollen. Risiken sollen nunmal minimiert werden, vor allem dort, wo sie für einen selbst nicht greifbar sind. Auch die neuere Nulltoleranz beim Nichtraucherschutz erscheint mir stellvertretend für die Sorge vor unsichtbaren Gefahren, deren Auswirkungen letztlich wesentlich geringer sind, als Aufhebens um sie gemacht wird. Der gesunde Mensch fürchtet sich heute mehr vor einem qualmenden Aschenbecher unter freiem Himmel, als vor Haushalts- oder Verkehrsunfällen.
In einer nahezu sicheren Gesellschaft verwundert es, wie viel Angst vorherrscht und eben auch, wovor die Leute Angst haben. Deshalb wirken noch so restriktive Maßnahmen populär, sie halten die zerbrechliche Illusion von Sicherheit aufrecht. Und nur dieses Sicherheitsversprechen kann den arbeitenden, sparenden, raffenden Bürger seines gerechten Lohnes versichern. Im Angesicht dessen, was er zu verlieren hat, erscheint ihm Freiheit weniger als Perspektive sondern vielmehr als Bedrohung.
Freiheit wird mit Sicherheit kontrastiert, letztere ist zum Leitmotiv in Wirtschaft, Gesellschaft - ja überall geworden. Freiheiten und Selbstbestimmung sind heute nicht nur nicht erreicht, ihnen wird ausgewichen, wo es nur geht. Als symptomatisch kann die Debatte um die innere Sicherheit gelten. Dort wurden massive Restriktionen gegen alle Bürger hingenommen, ohne dass diese durch akute Bedrohungen oder wenigstens präventive Erfolge gerechtfertigt worden wären. Zur Erinnerung: Rasterfahndung, Telefondatenspeicherung, Lauschangriff, verstärkte Videoüberwachung, PC Durchsuchungen, Geruchsproben, finaler Rettungsschuss – der einzige groß angelegte Anschlag in Deutschland wurde letztlich durch die Unfähigkeit der Bombenbauer verhindert. Immer wieder lässt sich feststellen, dass Terroranschläge, wenn überhaupt, nur durch den Zufall oder klassische Wege, wie etwa aufmerksame Passanten vereitelt werden können.
Dennoch ernten auch die extremsten Vorschläge Lob. Wolfgang Schäuble etwa stellt Überlegungen über den weitmöglichst hergeholten Fall auf, dass deutsche Truppen in Afghanistan Osama Bin Laden aufspüren würden und als einzige die Möglichkeit und nur diese Möglichkeit hätten, ihn per Marschflugkörper zu töten. Für diesen Fall sei unsere Demokratie nicht wehrhaft genug, deshalb müsse das Grundgesetz überprüft, bzw. die präventive Tötung von ‚Gefährdern’ gesetzlich verankert werden. Nun muss man gar nicht darüber nachdenken wie unwahrscheinlich es ist, dass deutsche Sanitärsoldaten zufällig einen Zettel mit der Adresse Osamas Verstecks finden, um eine derartige Initiative auch nur aufgrund der anfallenden bürokratischen Kosten für Wahnsinn zu halten. Und dennoch, es wird in diese Richtung weitergedacht, weitergemacht.
Es ist schon erstaunlich, wie begehrt vermeintliche innere Sicherheit doch ist, was man bereit ist für sie zu geben oder sich antun zu lassen, wo doch der Innenminister selbst so klug ist, keine Garantien geben zu wollen. Risiken sollen nunmal minimiert werden, vor allem dort, wo sie für einen selbst nicht greifbar sind. Auch die neuere Nulltoleranz beim Nichtraucherschutz erscheint mir stellvertretend für die Sorge vor unsichtbaren Gefahren, deren Auswirkungen letztlich wesentlich geringer sind, als Aufhebens um sie gemacht wird. Der gesunde Mensch fürchtet sich heute mehr vor einem qualmenden Aschenbecher unter freiem Himmel, als vor Haushalts- oder Verkehrsunfällen.
In einer nahezu sicheren Gesellschaft verwundert es, wie viel Angst vorherrscht und eben auch, wovor die Leute Angst haben. Deshalb wirken noch so restriktive Maßnahmen populär, sie halten die zerbrechliche Illusion von Sicherheit aufrecht. Und nur dieses Sicherheitsversprechen kann den arbeitenden, sparenden, raffenden Bürger seines gerechten Lohnes versichern. Im Angesicht dessen, was er zu verlieren hat, erscheint ihm Freiheit weniger als Perspektive sondern vielmehr als Bedrohung.
noyé
gonzosophie | 23. Juli 07 | Topic 'Marginalien'
Ich schleppe mich voran – allein – warum? Verliere meinen Schritt im Takt der Wellen, die meine Spuren verwischen. Weder wie, noch wohin ich gehe, sehe ich. Gehe ich? So muss es wohl sein, der Schmerz ist derselbe. Ich weiß nicht ob ich vor dir davonlaufe, oder du vor mir. Wichtig ist es nicht mehr. Meine Schritte ziehen mich voran, ich falle ihnen nach, zum Ziel hin, zum großen Finale. Vielleicht wartest du dort schon auf mich, mit dem Lächeln, das ich vermisse. Ja, vielleicht wartet nach diesem Weg ein warmes Lächeln, das mir vergibt.
Simplicissimus (Teil 1) - Selbstverwirklichung
gonzosophie | 22. Juli 07 | Topic 'Minima Memoralia'
Das zentrale Ideal der 68er war das Individuum. Auf ihm gründeten sich die Hoffnungen auf Lösung nahezu aller zeitnaher Probleme, und aus ihr artikulierten sich die Forderungen zur Lösung dieser Probleme: Emanzipation, Partizipation und Autonomie. Unter diese Ziele fiel aber immer auch Solidarität und gemeinschaftliches Leben, so dass keinesfalls eine zersplitterte oder zersetzte Gesellschaft herbeigesehnt wurde. Vielmehr sollten die verfestigten sozialen wie politischen Strukturen gelockert und auf eine ganz neue Basis gestellt werden. Auf dieser Grundlage rückte vor allem die Politik in den Focus des Interesses. Sie wurde als System der Macht- und Rechtsverteilung angesehen, in dem die genannten Forderungen verwirklicht werden konnten. Dabei wurde kein Gang durch die Institutionen, sondern die Politisierung des Alltags gefordert, die Aktion forciert. Egalitäre Mitbestimmung und Mitverantwortung sollten autoritäre Hierarchien ersetzen und deren strukturellen Probleme auflösen. Antiautorität wurde als Fazit zweier, aus Untertänigkeit geborener Weltkriege gezogen, dem „zu sich selbst gekommenem Kapitalismus“ sollte der neue, zu sich gekommene Mensch entgegengestellt werden. Durch Selbstverwirklichung sollte aus Entfremdung Authentizität werden.
Doch muss man erkennen, dass Individualität als Problemlösung schnell zum Selbstläufer, zum generalisierten Vorurteil wurde. Es klingt zuerst plausibel, dass wenn alle Entscheidungen und jegliche Verantwortung beim Individuum selbst lägen, dieses dadurch auch zur Lösung aller eigenen Problemlagen befähigt wäre. Der völlig freie Mensch wird der zu Allem befähigte Mensch, Selbstverantwortung ermöglicht Selbstverwirklichung. Dieses Ideal scheiterte nicht an der Überforderung des Individuums, sondern an der geforderten Freiheit, die unverwirklicht blieb. Dem Menschen wird, vor allem als Mitglied der Gesellschaft, wohl immer eine völlige Autonomie im Denken und Handeln versagt bleiben. Die 68er-Bewegung offenbarte sehr deutlich, wie schnell Eigenverantwortung geleugnet, Entscheidungsgewalt delegiert und Emanzipation hierarchisch verwaltet wird.
Sieht man sich allerdings die Symptome der heutigen gesellschaftlichen Schieflage an, fällt einem auf, dass diese eben den Idealen der 68er entgegengesetzt sind und nicht aus ihnen resultieren. Das Desinteresse gegenüber Politik, die strikte Trennung von Politik und Alltag, die erneute Anerkennung relativierter Autoritäten, der Ruf nach Tugenden und Finanzorientiertheit sind besorgniserregende Züge der neuen Rechten. Oft glaubt man den Wunsch einer Rückkehr in die biedere Kontinuitätsgesellschaft der 50er Jahre oder gar noch eine Dekade früher spüren zu können.
Woran liegt das, ist die Welt zu kompliziert und gefährlich geworden, um frei in ihr Leben zu können? Dem Menschen wohnt der Hang zur Vereinfachung inne, er kann die allumfassende Komplexität, in der sich die Welt ihm darbietet, nicht vollständig erfassen. Doch gerade heute bieten sich ihm zentrale Maßstäbe an, mit denen er nahezu alles kognitiv verarbeiten und eben bewerten kann: Nützlichkeit, Rendite, Kosten/Nutzen-Verhältnis. Diese Kategorien sind zum Urteilsschema sämtlicher Lebensbereiche geworden. Um es mit der Systemtheorie zu beschreiben: Das marktwirtschaftliche System hat seinen Code, seine Struktur in nahezu sämtliche Systeme übertragen. Selbst das religiöse Weltbild stellt man sich heute nach Bedarf und Geschmack aus Komponenten verschiedener Marktteilnehmer zusammen. Man wägt ab, ob einem Wiedergeburt oder Paradies mehr Heil versprechen, sich lohnen. Ironisch wirkt dabei, dass Kirche nicht mehr staatlich verordnet werden muss, sondern der Mensch von heute sich selbst die nötigen Kompensations- und Sedativstrukturen erstellt. Wo er noch vor 50 Jahren zwischen verschiedenen Wertesystemen wie Familie, Staatsbürgerlichkeit, Kirche, Humanität oder Parteizugehörigkeit abwägen und vermitteln musste, kann er heute mit jenen einheitlichen Definitionen auskommen, um seinen Alltag auf allen Ebenen zu strukturieren: Arbeit, Zukunft, Alter, Liebe, Freunde und Gewissen – alles lässt sich in soll/haben Buchungen analysieren und abwägen.
In diesen Strukturen ist die sog. „Eigenverantwortung“ dann auch vollkommen gegeben. Der Konsens besteht in dem Leitsatz, dass jeder für sich das meiste erwirtschaften solle. Da es Konsens ist, bricht es den Kontakt mit anderen Akteuren, d.i. Menschen, eben auf diese Gewinnmaximierung herunter. Eine der ältesten Ethiken, leicht verständlich und heute nur unter Strapazen abzulehnen Schon Platon hat sie vor 2500 Jahren unter der Charakterisierung des Tyrannen abgehandelt. Nur kam er eben zu dem Schluss, dass der Mensch, der nur nach Gewinnmaximierung strebt und alle anderen Komplexitäten diesem „Mehr!“ unterordnet zwar wie der freieste und selbstständigste Mensch erscheint, doch innerlich der unfreieste und unglücklichste sein muss.
Weiterführend:
Politeia, 9. Buch - Der demokratische und der tyrannische Mensch/Staat
Doch muss man erkennen, dass Individualität als Problemlösung schnell zum Selbstläufer, zum generalisierten Vorurteil wurde. Es klingt zuerst plausibel, dass wenn alle Entscheidungen und jegliche Verantwortung beim Individuum selbst lägen, dieses dadurch auch zur Lösung aller eigenen Problemlagen befähigt wäre. Der völlig freie Mensch wird der zu Allem befähigte Mensch, Selbstverantwortung ermöglicht Selbstverwirklichung. Dieses Ideal scheiterte nicht an der Überforderung des Individuums, sondern an der geforderten Freiheit, die unverwirklicht blieb. Dem Menschen wird, vor allem als Mitglied der Gesellschaft, wohl immer eine völlige Autonomie im Denken und Handeln versagt bleiben. Die 68er-Bewegung offenbarte sehr deutlich, wie schnell Eigenverantwortung geleugnet, Entscheidungsgewalt delegiert und Emanzipation hierarchisch verwaltet wird.
Sieht man sich allerdings die Symptome der heutigen gesellschaftlichen Schieflage an, fällt einem auf, dass diese eben den Idealen der 68er entgegengesetzt sind und nicht aus ihnen resultieren. Das Desinteresse gegenüber Politik, die strikte Trennung von Politik und Alltag, die erneute Anerkennung relativierter Autoritäten, der Ruf nach Tugenden und Finanzorientiertheit sind besorgniserregende Züge der neuen Rechten. Oft glaubt man den Wunsch einer Rückkehr in die biedere Kontinuitätsgesellschaft der 50er Jahre oder gar noch eine Dekade früher spüren zu können.
Woran liegt das, ist die Welt zu kompliziert und gefährlich geworden, um frei in ihr Leben zu können? Dem Menschen wohnt der Hang zur Vereinfachung inne, er kann die allumfassende Komplexität, in der sich die Welt ihm darbietet, nicht vollständig erfassen. Doch gerade heute bieten sich ihm zentrale Maßstäbe an, mit denen er nahezu alles kognitiv verarbeiten und eben bewerten kann: Nützlichkeit, Rendite, Kosten/Nutzen-Verhältnis. Diese Kategorien sind zum Urteilsschema sämtlicher Lebensbereiche geworden. Um es mit der Systemtheorie zu beschreiben: Das marktwirtschaftliche System hat seinen Code, seine Struktur in nahezu sämtliche Systeme übertragen. Selbst das religiöse Weltbild stellt man sich heute nach Bedarf und Geschmack aus Komponenten verschiedener Marktteilnehmer zusammen. Man wägt ab, ob einem Wiedergeburt oder Paradies mehr Heil versprechen, sich lohnen. Ironisch wirkt dabei, dass Kirche nicht mehr staatlich verordnet werden muss, sondern der Mensch von heute sich selbst die nötigen Kompensations- und Sedativstrukturen erstellt. Wo er noch vor 50 Jahren zwischen verschiedenen Wertesystemen wie Familie, Staatsbürgerlichkeit, Kirche, Humanität oder Parteizugehörigkeit abwägen und vermitteln musste, kann er heute mit jenen einheitlichen Definitionen auskommen, um seinen Alltag auf allen Ebenen zu strukturieren: Arbeit, Zukunft, Alter, Liebe, Freunde und Gewissen – alles lässt sich in soll/haben Buchungen analysieren und abwägen.
In diesen Strukturen ist die sog. „Eigenverantwortung“ dann auch vollkommen gegeben. Der Konsens besteht in dem Leitsatz, dass jeder für sich das meiste erwirtschaften solle. Da es Konsens ist, bricht es den Kontakt mit anderen Akteuren, d.i. Menschen, eben auf diese Gewinnmaximierung herunter. Eine der ältesten Ethiken, leicht verständlich und heute nur unter Strapazen abzulehnen Schon Platon hat sie vor 2500 Jahren unter der Charakterisierung des Tyrannen abgehandelt. Nur kam er eben zu dem Schluss, dass der Mensch, der nur nach Gewinnmaximierung strebt und alle anderen Komplexitäten diesem „Mehr!“ unterordnet zwar wie der freieste und selbstständigste Mensch erscheint, doch innerlich der unfreieste und unglücklichste sein muss.
Weiterführend:
Politeia, 9. Buch - Der demokratische und der tyrannische Mensch/Staat
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