Gonzosophie
10. November 2010
„Das wird man doch wohl noch sagen dürfen“
gonzosophie | 10. November 10 | Topic 'Medienkritik'

Streitkultur in Deutschland

Ehrlich gesagt will ich nun wirklich nicht zu einem Blog über den Feminismus werden. Da gibt es Andere mit mehr Hintergrundwissen und Verve auf diesem Gebiet. Doch diese unsägliche „Debatte“ nicht zwischen, sondern über Ministerin Schröder und, so scheint es, Alice Schwarzer reißt nicht ab. Langsam glaube ich auch sie als ziemlich exemplarisch ansehen zu können für die Art und Weise, wie deutsche Medien mittlerweile über im Grunde fachliche Debatten berichten.

So wie auch ich, ist die „Zeit“ immer etwas langsamer und übernimmt in ihrem Onlineteil mal wieder einen Artikel, bzw. Kommentar des hauseigenen „Tagesspiegels“ zu diesem Thema. Habe ich mich gestern Abend noch über einen ähnlichen Artikel auf „Spiegel Online“ ausgelassen, den ich einem befreundeten und ebenfalls mit dem Thema befassten Blogger gegenüber als das „schlechteste Machwerk, das ich seit langem gelesen habe“ bezeichnet, so muss ich dies revidieren.

Männer und Frauen dürfen Sex haben?

>> Sexualität zwischen Mann und Frau, so die Grundthese von Schröder, muss ebenso erlaubt und gesellschaftlich akzeptiert sein wie alle anderen Formen der Sexualität.

Das klingt doch eigentlich nicht skandalös, auch nicht erzreaktionär oder machohaft. Die Sexualität zwischen Männern und Frauen ist doch nun wirklich nicht so schlimm. Wer es halt mag, der muss das doch machen dürfen in einer freien Gesellschaft.<< (Quelle: Zeit Online)

Wer würde irgendetwas anderes behaupten? Fordert eigentlich irgendjemand ein Verbot von Sexualität zwischen Mann und Frau, wie es hier angedeutet wird? Schwarzer sicher nicht, wie sie selbst explizit deutlich gemacht hat. War im Spiegel die Position Schröders schon verfälschend simpel wiedergegeben und so, dass man den angeführten Thesen doch nur zustimmen konnte, so wird es hier in kindgerechter Sprache auf die Höhe, Pardon Tiefe getrieben. Da fragt man sich, welch verrückten Thesen Schwarzer denn nun habe, dass sie sich denn überhaupt aufregen könne. Der Kommentator meint:

>>„Alice Schwarzer hat geantwortet, dies sei "Stammtischsprache" und "inkompetent", die Ministerin sei "ungeeignet".“<< (Quelle: Zeit Online)

Diese Unterstellung ist schlicht – eine Lüge, oder zumindest die Unwahrheit. Schwarzer hat nicht etwa geschrieben, Sexualität zwischen Männern und Frauen tolerieren zu wollen sei „Stammtischsprache“ oder „inkompetent“. Vielmehr sei es recht fragwürdig, dem heutigen Feminismus ernsthaft derlei obskure Parolen vorzuwerfen, die höchstens der feministische Stammtisch (!) in den 1970er Jahren hervorgebracht habe. Ihr dabei mit einer schon bösartig einseitigen Auslegung einer eigenen These aus dem Jahre 1975 zu kommen und die Debatte in den seitdem vergangenen 25 Jahren völlig außer Acht zu lassen, bzw. offensichtlich nicht zu kennen – das kennzeichne Inkompetenz bei einer Frauen- und Familienministerin. Dem kann ich mich ehrlich gesagt nur anschließen.

Sex kommt immer gut, auch in Überschriften

Es hat ja aber ganz wunderbar funktioniert, denn stilisiert wird der „Streit“ als eine heftige Auseinandersetzung zwischen einer radikalen Kampflesbe Schwarzer und der jungen, bodenständigen Schröder, die etwas verteidigt hat, was man doch wohl immer noch sagen müsse dürfen können. Schröder kann sich zufrieden zurücklehnen. Egal was sie eigentlich Problematisches gesagt hat, so wird ihre Position in den Medien auf eine Weise dargestellt, die ihr nur recht sein kann – gerade in konservativen Kreisen, die sich heute ja unglaublich gerne einem angeblichen „political correctness“ Diktat auch und vor allem von Feministinnen unterworfen sehen.

Grund ist die Tendenz der medialen Berichterstattung, sämtliche Prozesse in unserem Land auf Personen und nicht deren Argumente, sondern vage Positionen herunter zu brechen. So scheint es hier nicht darum zu gehen, dass eine Familienministerin ihr Verständnis des eigenen Amtes verdeutlicht oder eine Feministin dieses Selbstverständnis aufgrund von impliziten Schwierigkeiten angreift. Halt! Ursprünglich hatte übrigens Schröder explizit Schwarzer kritisiert und nicht umgekehrt. Aber das kommt weder im „Tagesspiegel“ noch auf „Zeit online“ überhaupt zur Sprache, also entschuldigen Sie, wenn ich es fast vergessen hätte. Was ich nicht vergessen habe ist, dass beide Artikel die, nennen wir es Sachargumente beider Seiten auf nahezu lächerliche Weise simplifizieren und einen Nebenkriegsschauplatz als das eigentliche Thema ausgeben. Schröder fände, Sex zwischen Mann und Frau müsse erlaubt sein. Schwarzer halte dies für einen Rücktrittsgrund. Von Rücktritt hat sie übrigens nichts geschrieben. Aber da diese Forderung heute schon ein Automatismus ist, legt man sie ihr einfach mal in den Mund.

"Ich konnte die noch nie leiden"

Über die Sache wird folglich auch gar nicht mehr diskutiert, sondern lediglich über die Personen. Von denen hat ja sowieso schon ein jeder ein vages Bild, dass er nun bestätigt sehen kann: Schröder, die moderne Ministerin und Schwarzer, die alte Emanze. Gemäß der eigenen Einfärbung verurteilt man nun eine der beiden ohne sich über das Problem weiter Gedanken machen zu müssen. Was war das Problem nochmal? Achja, Schröder hält die Frau heute eigentlich schon für befreit, Frauenquoten für ein schlechtes Instrument und will in Zukunft lieber Jungen fördern oder so ähnlich. Aber ist das nicht eigentlich völlig egal? Schließlich haben wir hier einen schön „bizarren Sex Streit“ (Bild).

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