Gonzosophie
27. Juli 2009
Sinnieren
gonzosophie | 27. Juli 09 | Topic 'Gonzosophische Lebenshilfe'

Manche Debatten ziehen sich nicht allein durch die Geistesgeschichte der Menschheit, sondern erstrecken sich auch über die eigene Biographie. Vornehmlich die Frage nach Sinn oder Unsinn des Lebens selbst. Da man schnell glaubt keine Antwort auf diese Frage finden zu können, so gewöhnt man sich mit der Zeit daran und hört schließlich auf zu fragen. Ob Sinn oder Unsinn – es ist Alltag, das reicht zur Legitimation völlig aus. Schwerlich ließen sich auch so alte Gewohnheiten wie das Weiterleben einfach ablegen.
Doch ehrlich gesagt lässt sich diese Trägheit weder durch triftige Gründe, noch hoffnungsreiche Perspektiven begründen. Glauben sie tatsächlich irgendwann einmal glücklich zu werden? Statistisch gesehen liegen sie damit völlig falsch. Aber statistisch gesehen sollten sie es trotzdem glauben. Es ist ja auch nicht weiter verwunderlich, dass nicht glücklich werden kann, wer sich noch fragen muss, ob er’s denn ist. Dies jedoch nicht, wie so oft angenommen, weil Naivität und Vollbeschäftigung notwendige Vorraussetzungen wären für das Glück (s.a. „Dumm sein und Arbeit haben, das ist Glück.“) Viel Schlimmer noch! So etwas wie das Glück gibt es doch gar nicht. Sicher, man redet viel davon. Aber: Denkt man erst einmal darüber nach, löst es sich auf. Es ist wie mit der Religion. Und flüchtiger noch, als jede Utopie.
Aber wer sagt eigentlich, dass Wert im Leben unbedingt des Glücks bedarf. Ist etwa nur glückliches Leben wertvoll und anders herum: Ist Leben wertvoll denn auch glücklich? Ich denke gegen Beides spricht sehr viel. Nicht allein in punkto Kunst, auch auf dem Feld der Wissenschaften schufen gerade jene Menschen Werte ohne Flüchtigkeit, die von Zeitgenossen kaum für glücklich angesehen wurden. Das Grandiose ist des Wahnsinns liebstes Kind. Wohl mancher manisch depressive Suizidiär hat während seines kurzen Erdenaufenthalts mehr beigetragen zu der Menschen Zeitenwerk, als Glückspilze es allesamt seit es jeher wohl zu tun vermochten.
In Anbetracht dessen kann man wohl nicht umhin als Gruß nunmehr „Verdrießlichen Tag!“ jedem zu wünschen, den man schätzt. Es füllt ja auch die purste Lebensunlust das Dasein dauerhaft nicht aus. So hat es durchaus seinen Grund, warum man Vorstellungen von letztem Glück stets jenseitig verortet sieht. Ein Tag Zufriedenheit, eine ganze Woche gar? Ich bitte Sie! Der Mensch hält es im Leben doch nicht aus, ganz ohne Wunsch zu sein und ohne jede Regung noch dazu. Die Faulheit ist ihm angeboren zwar, doch Muße nicht und somit wär ein wunschlos Paradies nichts weiter als ein Kreis der Hölle. Wir suchen nicht das Glück, Ablenkung wollen wir vom Unglück nur und diese bietet uns das Leben schlechter mehr, als recht. Kultur nennt man die Form von Ablenkungen heute, die nun der Mensch in tausenden von Jahren gerade jenem Zweck zu diensten schuf. Und sie ist wohl das Einzige von Wert, da sie den Menschen wissen lässt: Dein Schicksal litten schon Millionen. Das lenkt ihn gern von seinem Unglück ab: Zum Glück.


(Kommentieren sie diesen Beitrag auf gonzosophie.de)

Permalink





In eigener Sache
gonzosophie | 27. Juli 09 | Topic 'Autopoiesis'

In den Augen meiner Mitbewohnerin bin ich ein Bauer, denn ich wuchs in einem Dorf auf. Dort gab es Bauern, eine handvoll, deren Erkennungszeichen karierte Hemden in umgürteten Jeanshosen waren. Ich habe niemals Hemden unter Gürteln in Jeanshosen getragen. Dennoch hat mich mein Umfeld geprägt. Ich wollte dort weg.
Meine Sozialisation ereignete sich dementsprechend in der nächstgrößeren Kleinstadt. Ich bin meinen Eltern noch heute zutiefst dankbar, mich dort auf eine konfessionelle Schule geschickt und mir somit die Eingliederung der Gemeindegesamtschule erspart zu haben. Anders als an dieser waren in jenem Hort des Katholizismus nicht nur die Schüler weitaus vielschichtiger: Sie soffen nicht bloß, sie hörten auch Musik. Und gleichwelches Geschlecht, es gab unterschiedliche Frisuren.
Zu meiner eigenen Überraschung wurde ich nach eher schleppendem Auftakt irgendwann recht gut in der Schule. Es war wohl zu der Zeit, in der die meisten Menschen aufgrund ihres hormonellen Haushaltes zumindest hinsichtlich ihrer schulischen Leistung einknicken und dabei Leute wie mich weitaus intelligenter aussehen lassen – der Benotung nach Klassenschnitt sei dank. Frauen brachten mir nie etwas anderes als Frust. Und wer hier liest, der weiß, dass Frust einer der wenigen Motivatoren in meinem Leben ist.
Doch man mag es kaum glauben, die ganze Mittelstufe hindurch war ich der Klassenclown. Mein Hang zur Ironie verfärbte sich erst später ins Tiefschwarze. Ich selbst kann es nicht mehr glauben, aber zu jener Zeit gehörten kanariegelbe Hemden und Shorts mit riesigen Sonnenblumen darauf durchaus zu meiner Garderobe. Dabei blieb es jedoch nicht. Gott sei dank.
Nach meinem Abschluss wechselte ich von der konfessionellen Schule an eine Klosterschule. Dort sammelte ich die wohl seltsamsten und prägenden Eindrücke meines Lebens: Ich traf die ersten Hippies, erhielt meine erste Eins in Religion bei jenem Lehrer, der Marienbildnisse als „Wichsvorlagen für Zölibatäre“ bezeichnete und trug zum letzten Mal Kleidung, die mehr als zwei Farben aufwies. Ein geistig fruchtbares Umfeld - es gab sogar Philosophieunterricht.
Wenn ich heute das Wort "Politeia" lese, muss ich immer an jene Kleinstadt zurückdenken, deren Größe wohl mit der des antiken Athens vergleichbar ist. Und ebenso vergleichbar war die soziale Struktur: Ab einer gewissen Ebene kannte man sich. An jener Schule trafen sich der Sohn des Bürgermeisters, des größten Bauunternehmers und auch des Zahnarztes mit dem kleinen Stadtschlösschen. Nur Sklaven gab es nicht und anders als unter den Geistesgrößen der platonischen Akademie war hier die Lohnarbeit nicht als Gedankentod verschrien. Schließlich wurde man von Lohnarbeitern unterrichtet, von den paar Mönchen einmal abgesehen. Genau wie in Athen jedenfalls, reisten die Schüler mit größeren Karossen an und ab als ihre Lehrer.
Heute frage ich mich manchmal, in welcher Weise mich meine Jugend zu dem gemacht hat, was ich bin. Obschon ich viele grundlegende Gedanken und Ansichten schon mein ganzes Leben zu haben glaube, sollte man sich doch nicht zu leichtgläubig dem eigenen Storytelling hingeben. Hat man nicht schon oft genug den Satz gehört, Prioritäten würden sich ändern? Meiner Erfahrung nach sind es jedoch eher Entschuldigungen, die sich ändern. Prioritäten (z.b. „Ich“ oder „Wir“) bleiben sich meist gleich.
Was die Persönlichkeit prägt sind deshalb vielleicht auch nicht jene Dinge, die man macht. Eher, was man unterlässt. Logisch gesehen, ist das nur Haarspalterei, aber Logik ist nicht alles. Das war leider erst eine meiner späteren Erkenntnisse im Umgang mit Menschen.

(Kommentieren sie diesen Beitrag auf gonzosophie.de)

Permalink





... ältere Einträge