Gonzosophie
4. September 2007
Samstag Nacht
gonzosophie | 04. September 07 | Topic 'Nachtschicht'
Nimm die Brille ab, sie stört dich und andere. Tu nicht so als gäbe es etwas zu sehen, oder jemanden, hier, gerade hier. Zur Gesamtsituation passend haben sie überall diese widerlich obszöne Musik gespielt. Jeder hört die Musik, die er verdient. Auch ich. Und dann diese ganzen Menschen. Jeder Schritt erhöht die Gefahr eines Schulterklopfens, des Ansprechens, gegriffen zu werden irgendwo aus diesem Gekräuche. Ich habe mir schon immer Ecken gesucht, Spalten, Nischen, das Abseits. Die Distanz hat ihn mir erträglich gemacht, diesen Basar sich feilbietender Marktschreier. Man kann auf viele Arten schreien, mit Gesten, der Kleidung – gott, diese Klamotten. Bin ich auch einer von ihnen, auf der Suche nach etwas, hier? Warum wäre ich sonst gekommen. Auch mich packt das Bedürfnis, das Gefeilsche beginnt ganz von selbst, mit den ersten Blicken die einen treffen. Ich musste Blicken immer schon ausweichen. Ich bin kein guter Verkäufer, bin von dem Produkt nicht überzeugt. Das merkt man mir an, am Zögern, am gesenkten Blick. Dies ist mir peinlich, wie immer schon, nur hat sich mittlerweile der Ekel zum Schamgefühl gesellt. Aus allen Gesichtern quillt ein Zuwider. Ich kann mich nicht auf diesem Niveau bewegen, für so außergewöhnlich halte ich mich dann doch. Und das bin ich wohl auch. Doch nicht auf eine interessante Art.

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23. August 2007
22.
gonzosophie | 23. August 07 | Topic 'Nachtschicht'
Der Tag war indifferent. Ich habe mich lang gefragt ob es mir heute gut ging oder schlecht. Ich habe gelächelt, mehrfach, das weiß ich noch. Einige Male war es nicht aufgesetzt. Aber ich kann jetzt in jeder Stimmung lächeln. Man lernt die Zeit einfach durchzubringen, so wie seine Schichten. Stunde um Stunde hangelt man sich vor, wartet auf die Nächste Pause. Sieht man zu oft auf die Uhr, kriecht die Zeit; wird man egal, fliegt sie. Solange man an jemanden denken kann, ist alles gut. Heute habe ich mich irgendwie allein gefühlt, musste mit banalen Gedanken vorlieb nehmen. Nur 2 Tage nichts von ihr gehört und ich sehe mich schon wieder verlassen. In der Hinsicht bin ich geschädigt. Aber hier kann ich mich auch einfach nicht ablenken: 8h täglich stehe ich vor der Maschine- mit mir allein. Ich kann mich nicht wirklich betrinken, kann nicht fernsehen oder dergleichen, kenne hier niemanden. Der Schlaf ist kein echter, wenn man um 7:30 ins bett geht. Ich habe mich da wohl auch in etwas verrannt. Sie fühlt sich bedrängt, ich denke zu Recht. Dabei wollte ich das gar nicht. Es ist ja auch nicht so, als sei sie allein. Ich habe wieder mal Verzweiflung mit Sehnsucht verwechselt, womöglich ist es auch etwas von beidem. Vielleicht sind wir nicht gut für einander und jeweils zu verlegen das offen auszusprechen. Es fällt auch schwer, wenn einem jemand so sympathisch ist, man sich versteht. Ich weiß es nicht, aber ich kann es nicht akzeptieren wollen; mache mir lieber weiter etwas vor. Das ist meine Überlebensstrategie geworden. Die Realität würde ich nicht aushalten. Mein Blog ist jedenfalls zu einem Tagebuch verkommen, das sollte er nie sein. Es regt nicht gerade die Clicks an, den Tagesablauf eines tranigen Tunichtgutes zu beschreiben. Verständlich, wie ich finde. Sonst dringt jedoch nichts zu mir vor. Auch ich bin indifferent geworden.

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22. August 2007
3 mal werde ich noch wach...
gonzosophie | 22. August 07 | Topic 'Nachtschicht'
Ich bin heiß gelaufen, habe mir vorgenommen die Texte vor dem Tippen erst wieder etwas liegen zu lassen. So habe ich zu wenig Ausschuss, zuviel geht einfach durch mich durch.
Die Nachtschicht kennt keinen Ruhetag. Wir arbeiten von sonntags 22:00 bis samstags 6:00 - Deshalb wünscht man sich auch keinen schönen Feierabend, kein schönes Wochenende. Man sagt „Bis morgen“, wenn überhaupt. Normalerweise sieht man sich noch am selben Tag.
Das Bild Horoskop zeigte heute zum ersten Mal keinen nachdenklichen oder betrübten Smiley. Es rät mir, ich solle Frisur, Kleidung und Herangehensweise aggressiver gestalten, dann winke berufliches so wie Liebesglück. Der Titel ist die angeblich geplante Autobahnmaut. Die von einer Meute verprügelten Inder haben es lediglich auf Seite 6 geschafft; nur zu einem drittel füllen sie diese aus, mal wieder typisch. Naja, wenigstens wird dort schön differenziert: Die Nazis wollen sich von den Ausländern getrennt wissen, die Politiker von den Nazis und die gesamtdeutschen Medien von den Ossis. Das schönste ist, dass der Bürgermeister des Tatkaffes nur Zugereiste, Zugezogene und sonstige fremden Elemente für die Fremdenfeindlichkeit verantwortlich macht. Eine Rechte Szene, gar Nazis gebe es in seinem Örtchen nicht. Fragt sich nur warum dann ein FDPler Bürgermeister geworden ist. Staatstragende Elemente verweisen darauf, dass solch unsittliche Verhalten den Wirtschaftsstandort Deutschland gefährde. In Zukunft also lieber wieder Türken verkloppen. Die sind seltener gut ausgebildete Facharbeiter und damit meist über. Aber auch die dann möglichst nur in jeweils geringer Stückzahl. Alles andere gibt so schlechte Presse. Vorerst jedenfalls.
Bemerkenswert: Offenbar erscheint das gesamtdeutsche Phänomen Fremdenfeindlichkeit auf zwei verschiedene Weisen. Wieso die Nazis ausgerechnet in Ostdeutschland so öffentlich und gewaltbereit sind, bleibt fragwürdig. Man sollte sich nicht mit der Antwort zufrieden geben, dass es lediglich an der schwierigen Wirtschaftssituation liege.

„Der Ossi will ein Deutscher sein
und hat kein deutsches Wesen.
Da mag auch er „Heil Hitler“ schrei'n:
Er hat ihn nie gelesen.

Der Ossi ist kein Bildungstyp.
Er mordet aus dem Bauche.
Archaisch Seele, Herz und Rüb’.
Sein Blut und Boden: Jauche.

Er war und ist als Asiat
von Rilke fern, von Spengler.
Doch braucht ein großer deutscher Staat
den Killer wie den Quengler.“

(zit. nach Titanic, leider fehlt mir die Angabe zur Ausgabe und obs’ von Gsella oder wem anders ist. Ich bitte dies zu entschuldigen, vielleicht kann ja jemand aushelfen)

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15. August 2007
Nachtschicht
gonzosophie | 15. August 07 | Topic 'Nachtschicht'
Die Maschine atmet in regelmäßigen Zügen. Ich bin ihr Puls, bediene sie. Irgendwo knarzt ein Radio. „Weiß jemand, welches Wetter eigentlich draußen ist?“ Wir sind nicht autark, jedenfalls nicht völlig. Nur für 8 Stunden am Tag. Wenn wir bedienen, pulsieren. Was hast du nur damit gemeint, was ist das eigentlich für ein Satz gewesen? Hast du dabei an mich gedacht? Wohl kaum. Die Charge ist zu Ende, doch die Palette noch lange nicht voll. Ich schreibe meine Nummer auf ein Kontrollkärtchen: 3490. Das bin ich, niemand anders. Wie damals bei den Panzerknackern. Der Hubwagen rollt durch den Gang, serviert immer neue Kabel, neue Züge, neues Plastikgranulat, hebt weg, was geschafft wurde. Ein Kollege bekommt seine Ablöse, macht Pause. „Moin“ – „Morgeeeen“. Man lernt zwei Gangarten zu verwenden. Ein Tempo zur, ein Tempo von der Arbeit. Das Vokabular ist festgelegt, standardisierte Formeln und anzügliche Bemerkungen, parabelhaft. Die halbe Nacht ist durch. Noch immer kein Glimmen am Horizont. Die hohen Fenster mit ihren Oberlichtern bleiben pechschwarz, versetzen uns in eine dunkle Kathedrale. Wir gehen unseren Ritualen nach, feiern eine okkulte Messe im Choral der Maschinen. Wieso hab ich dir nicht gesagt, was ich sagen wollte, was ich niemals sage, wenn es Zeit wäre. Doch die Zeit ist ein Kreis, nichts geht verloren, alles ist längst verloren. Ich spüre meine Hände. Sie passen sich dem Akkord nicht so schnell an wie mein Geist. Der Körper baut ab. Aber die Maschine vergibt, stöhnt großzügig in schleppendem Tempo. Noch einen Kaffee aus dem Automaten, oder eine Zigarette. Alles was uns hier vom Wahnsinn trennt sind Kaffee und Zichten; Und die anzüglichen Bemerkungen zum Bier im Sonnenaufgang. „That’s the Combination, man“. Wir sind eine Schicksalsgemeinschaft, klar definiert. Man kifft nicht, ist nicht schwul und vögelt gerne. Doch auch da ist man tolerant, solange die Maschine taktvoll stanzt. Was soll schon sein, es geht weiter. Ich nehme dir nichts übel, nehme niemandem nichts übel. Ich bin nachsichtig, wie die Maschine geworden. Atme regelmäßig, in schleppenden Zügen. Freitags kippe ich einen Kübel Küberclean Reiniger durch den Apparat. Dann ist alles wie neu. Nichts bleibt mehr haften. Nichts ändert meinen Puls. Ich funktioniere. Ich bringe den Akkord.

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8. August 2007
A Hard Night's Day
gonzosophie | 08. August 07 | Topic 'Nachtschicht'


Hier sagen 20, 40 60jährige noch ‚Neger’ mit voller Selbstverständlichkeit, obwohl oder gerade weil hier keine Neger leben – hinter den 7 Bergen. Sei’s drum, man weiß ja wovon gesprochen wird. Ich für meinen Teil verliere den spärlichen Kontakt zu allen andern. Und zu mir, im übrigen, mein Selbstmitleid leidet. Mein Verstand wird zur Stanze, staucht Kabel und presst bunte Plastikkäppchen obenauf. Das Leben ist ein Akkord. Auf, raus, rein, zu, Knopf. Stanzen ist wie gutes Vögeln. Jeder Gedanke muss sich diesem Rhythmus anpassen. Hier ist kein Platz für Zweisamkeit, hier stört keine Einsamkeit, es herrscht Betriebsamkeit. Am Monatsende winkt das Glück. Eins-fünf in etwa, fast genug für einen schönen Sarg. Und ich weigere mich weiter zu denken. Selbst Verdrängung ist Frust genug.

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6. August 2007
Schweiß
gonzosophie | 06. August 07 | Topic 'Nachtschicht'
Ich habe die Nacht mit einer netten 'Middle-Agerin' verbracht und mit einem guten Dutzend schwitzender Kerle in den „besten“ Jahren. Jetzt aber ist Feierabend, es ist Jamaikas Unabhängigkeitstag, es ist Evelyn Hamanns Geburtstag und darüber hinaus vor allem eins: Montag. Wie will das alles zusammenpassen? Ich stieg eben in meinen Wagen, fuhr in den Sonnenaufgang und aus dem Radio klang wie selbstverständlich der „Cocaine Blues“. Treffend, sehr, und die gesuchte Symbiose. Ich mag diese Arbeit, man muss nicht viel sprechen oder geistig dabei sein. Man kann die Gedanken schweifen lassen, bis die Füße vom durchgehenden Stehen schmerzen. Aber auch der Schmerz passt in diese Fabrik, in der so seltsame Gestalten arbeiten. Entgegen der langläufigen Meinungen arbeiten derer auffälligsten Vertreter nicht in der Nachtschicht. Auch ist diese gänzlich frei von Starkstromalkoholikern und bis auf einige Ausnahmen ist dort niemand medikamentös 'eingestellt'. Trotzdem, Viele wirken wie Figuren aus altbekannten, lieb gewonnenen Filmen - bis man sie reden hört. Es gibt tatsächlich Menschen, die so sprechen, wie sie die Bild Zeitung lesen. Dennoch, ich habe sehr viel Respekt vor diesen Leuten: „Sie nennen sich selbst Dreckfresser. Dreckfresser können es ertragen, können alles ertragen. Sie sind der Bodensatz und sie wissen es. Trotzdem sind sie das Rückgrat und das Mark unserer Gesellschaft. Es sind die Besten, Oma, die ich je gesehen habe“ Bei dem Dreck, den man uns allen auftischt, ist es verwunderlich, wie erträglich die meisten Menschen im oberflächlichen Umgang doch sind.

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