Ulkus I
gonzosophie | 28. Dezember 07 | Topic 'Autolyse'
An Schläuchen vergeht eine Nacht,
an den Tag darf man nicht denken,
Hoffen muss man:
Ein Morgen.
„Hej licht up intensiv“. Keine Ortsbeschreibung, ein Zustand. „Hatten Sie viel Stress in letzter Zeit?“. Eine Metapher für das Leben: Blut vermengt mit Kot. Tod stinkt so. Selbstverdauung, Eigenperforation, „In ihrem Alter ist sowas selten.“. Zweieinhalb Dekaden, da sollte man noch kein Blut speien. Vielleicht war es nur der Schnaps, der Schlaf, das Essen. „Das ist schon ernst.“ Ich hab zuviel geschluckt in letzter Zeit; mir zuviel in den Rachen werfen lassen. Zuviel. Ja, blass war ich schon immer, es geht mir eigentlich ganz gut. Styx rauscht; hintergründig. „Sie können jetzt die Angehörigen reinlassen“. Man realisiert es plötzlich: Angehörige. Was soll ich euch sagen? Hab mir wohl ein Loch in den Bauch gefreut. Keine Schmerzen, keine Schmerzmittel; ilicet! „Wie alt waren sie nochmal? Das ist ja schon heftig, also ich finde das heftig.“ Danke, aber mir schwindelt. Fieber? Hunger habe ich. Die Nacht liegt so brach auf elektrischen Betten; wenigstens abgeklemmt haben sie mich. Ungewollte Epilation. „Bitte sehr.“ Ein Lächeln, eine Wonne, genannt Brühe – wunderbares Kindbettschlürfen. Sogar Kaffee nun, ich dachte, der sei jetzt Tabu. Dennoch
Ich sollte nichts tun, denken, mich nicht empören; meine Wünsche vergessen: gilt nun für weise. Keine 25 und schon zu weise zuwenig zu wissen, brütend zu fragen, wuchernd und gärend, durch ein Geschwür in das Gedärm mein Blutt zu betten; Knospen führe ich ab, auf dass sie erblühen. Saure Tage, wahrlich. „Sie dürfen schon aufstehen, oder?“ Ja, verdammt. Auferstanden, am zweiten Tage schon. – Alles, alles war gut.
Was kann ein Lächeln nicht alles tun, was ein Gesicht. Aber vieles davon hat sicher lediglich hormonelle Gründe...
Halb Acht morgens am Sonntag. Ich lecke einen Saum Herbstblut ums Porzellan und sinke in mich. Das war’s Der Keim sprießt auf, zurück taumelnd, schwärzt mir. Alles, alles wird kalt. Tod zittert. Die Schwester überwindet ihre Panik, ich folge ihr. Sicher ist es nicht so schlimm. Das viele Blut, naja. Aus der Narkose erwachend liegt mein Pegel bei gut einem Drittel des Soll. Man merkt es: Blut ist für Leben nicht nur eine Metapher, ein schönes Wort bei Benn. Die Dimensionen gewinnen an Tiefe. Ich sehe aus wie eine Leiche; wird mir gesagt. Zu schwach aufzustehen fehlt mir die Bestätigung. Warten muss ich, schlafen kann ich nicht, nicht einmal lesen. Wieder intensiv; Contrafaktum zum Leben der Patienten. Dick, und süß wie Marmelade, tröpfelt eine Konserve in den zerstochenen Arm. Die Ärzte unterhalten sich mit mir über Novalis, Safranski, über Schiller („Es ist der Geist, der sich den Körper baut“). Man schiebt mich in ein unbelegtes Zimmer. Weg von dem Gestank, der Auflehnungen einer Frau mit Bewusstseins- und Verhaltensstörungen. Durch den Vorhang habe ich nur ihren Umriss erspähen können. Schwierig ihr Alter am Schatten der Frisur zu erraten; gut 50 tippe ich. Ihr Mann spricht sie nur mit „Frau“ an. Seltsam ist’s, so gestellt zwischen Geräten. Hierher passen keine Gedichtbände, kein Bleistift. Hierhin gehören Kugelschreiber wie Skalpelle. Man schmeckt, an riecht wie sich der Tod gewandelt hat, das Sterben. Herr E. wird alle paar Tage mal aufrecht hingesetzt. Er will sich die Magensonde aus der Nase ziehen, kann aber den Arm nicht mehr heben die Sprache dürftig, „Auf Wiedersehen“ sagt er. Keiner weiß, wie er das meint. Alzheimer, Parkinson, Endstadium. Die Schwestern scherzen. Nur die Ironie mit ihrer Verkehrung lässt kurz Leben aufblitzen an diese Ort. Viel ist nicht drin. Nur raus hier, nur raus. Das kann, dass darf mein Platz nicht sein. Noch nicht.
an den Tag darf man nicht denken,
Hoffen muss man:
Ein Morgen.
„Hej licht up intensiv“. Keine Ortsbeschreibung, ein Zustand. „Hatten Sie viel Stress in letzter Zeit?“. Eine Metapher für das Leben: Blut vermengt mit Kot. Tod stinkt so. Selbstverdauung, Eigenperforation, „In ihrem Alter ist sowas selten.“. Zweieinhalb Dekaden, da sollte man noch kein Blut speien. Vielleicht war es nur der Schnaps, der Schlaf, das Essen. „Das ist schon ernst.“ Ich hab zuviel geschluckt in letzter Zeit; mir zuviel in den Rachen werfen lassen. Zuviel. Ja, blass war ich schon immer, es geht mir eigentlich ganz gut. Styx rauscht; hintergründig. „Sie können jetzt die Angehörigen reinlassen“. Man realisiert es plötzlich: Angehörige. Was soll ich euch sagen? Hab mir wohl ein Loch in den Bauch gefreut. Keine Schmerzen, keine Schmerzmittel; ilicet! „Wie alt waren sie nochmal? Das ist ja schon heftig, also ich finde das heftig.“ Danke, aber mir schwindelt. Fieber? Hunger habe ich. Die Nacht liegt so brach auf elektrischen Betten; wenigstens abgeklemmt haben sie mich. Ungewollte Epilation. „Bitte sehr.“ Ein Lächeln, eine Wonne, genannt Brühe – wunderbares Kindbettschlürfen. Sogar Kaffee nun, ich dachte, der sei jetzt Tabu. Dennoch
Ich sollte nichts tun, denken, mich nicht empören; meine Wünsche vergessen: gilt nun für weise. Keine 25 und schon zu weise zuwenig zu wissen, brütend zu fragen, wuchernd und gärend, durch ein Geschwür in das Gedärm mein Blutt zu betten; Knospen führe ich ab, auf dass sie erblühen. Saure Tage, wahrlich. „Sie dürfen schon aufstehen, oder?“ Ja, verdammt. Auferstanden, am zweiten Tage schon. – Alles, alles war gut.
Was kann ein Lächeln nicht alles tun, was ein Gesicht. Aber vieles davon hat sicher lediglich hormonelle Gründe...
Halb Acht morgens am Sonntag. Ich lecke einen Saum Herbstblut ums Porzellan und sinke in mich. Das war’s Der Keim sprießt auf, zurück taumelnd, schwärzt mir. Alles, alles wird kalt. Tod zittert. Die Schwester überwindet ihre Panik, ich folge ihr. Sicher ist es nicht so schlimm. Das viele Blut, naja. Aus der Narkose erwachend liegt mein Pegel bei gut einem Drittel des Soll. Man merkt es: Blut ist für Leben nicht nur eine Metapher, ein schönes Wort bei Benn. Die Dimensionen gewinnen an Tiefe. Ich sehe aus wie eine Leiche; wird mir gesagt. Zu schwach aufzustehen fehlt mir die Bestätigung. Warten muss ich, schlafen kann ich nicht, nicht einmal lesen. Wieder intensiv; Contrafaktum zum Leben der Patienten. Dick, und süß wie Marmelade, tröpfelt eine Konserve in den zerstochenen Arm. Die Ärzte unterhalten sich mit mir über Novalis, Safranski, über Schiller („Es ist der Geist, der sich den Körper baut“). Man schiebt mich in ein unbelegtes Zimmer. Weg von dem Gestank, der Auflehnungen einer Frau mit Bewusstseins- und Verhaltensstörungen. Durch den Vorhang habe ich nur ihren Umriss erspähen können. Schwierig ihr Alter am Schatten der Frisur zu erraten; gut 50 tippe ich. Ihr Mann spricht sie nur mit „Frau“ an. Seltsam ist’s, so gestellt zwischen Geräten. Hierher passen keine Gedichtbände, kein Bleistift. Hierhin gehören Kugelschreiber wie Skalpelle. Man schmeckt, an riecht wie sich der Tod gewandelt hat, das Sterben. Herr E. wird alle paar Tage mal aufrecht hingesetzt. Er will sich die Magensonde aus der Nase ziehen, kann aber den Arm nicht mehr heben die Sprache dürftig, „Auf Wiedersehen“ sagt er. Keiner weiß, wie er das meint. Alzheimer, Parkinson, Endstadium. Die Schwestern scherzen. Nur die Ironie mit ihrer Verkehrung lässt kurz Leben aufblitzen an diese Ort. Viel ist nicht drin. Nur raus hier, nur raus. Das kann, dass darf mein Platz nicht sein. Noch nicht.